Das Leiden der Männer am anderen Geschlecht

Untersuchungen zum Geschlechterverhältnis von unterschiedlicher Qualität

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Geschlechterforschung sei "dringlicher denn je", so Margrit Brückner und Lothar Böhnisch in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Bandes "Geschlechterverhältnisse". Daran ist zumindest so viel richtig, dass Geschlechterforschung zumindest ebenso dringlich ist wie eh und je. Sie habe sich allerdings, so monieren die HerausgeberInnen, trotz des Anspruches, "auch die Beziehung der Geschlechter untereinander aufzuklären, inzwischen weiter als Frauenforschung und - nun auch - Männerforschung versäult". Eine Behauptung, die sich allerdings nur aufstellen lässt, wenn man den von Judith Butler angestoßenen (post-)feministischen Diskurs des vergangenen Dezenniums außer Acht lässt. Aber auch diese These ist nicht ganz falsch, denn seit einer Reihe von Jahren boomt Männerforschung geradezu, und der vorliegende Band ist eher dazu angetan, die konstatierte Zweiteilung zu zementieren, als beide Säulen zur Geschlechterforschung oder zu Gender Studies zusammenzuführen.

Etliche der feministisch orientierten Geschlechterforscherinnen begegnen zumindest Teilen der Männerforschung mit einem gerüttelten Maß an Skepsis. Wie berechtigt sie ist, zeigt Lothar Böhnischs "männertheoretischer Durchgang" durch "Männlichkeiten und Geschlechterbeziehungen". Zwar betont er eingangs pflichtgemäß, dass es nicht darum gehe, "für die Täter Partei zu ergreifen", doch bekundet der an der Universität Dresden lehrende Sozialpädagoge nachdrücklich sein Verständnis für die "Bedürftigkeit" von männlichen Gewalttätern. Den Widerspruch glaubt er mit dem Taschenspielertrick eskamotieren zu können, dass er zwischen "Täterschaft" und "Mannsein" unterscheidet. Die Tat werde "nicht beschönigt oder gar verschwiegen", so versichert er. Doch liest man von den Taten nichts mehr, sondern nur noch davon, dass auch die Männer Opfer der Verhältnisse seien, Opfer, "die den Alltagsdruck nicht mehr aushalten, und zur Gewalt greifen", um so ihre "Bedürftigkeit" auszudrücken. Fast in jedem Absatz machen Text und Subtext deutlich, wo Böhnischs Sympathien liegen: auf der Seite der männlichen Täter, nicht der weiblichen Opfer. So etwa wenn er das Klischee prolongiert, dass Männer zwar gewalttätig seien, Frauen hingegen hinterhältig. Irgendwie scheint sich das ja auszugleichen. Zudem kann man den Männern wohl noch zugute halten, dass sie immerhin mit offenem Visier kämpfen. Eine andere, ebenso schwer erträgliche Aufrechnung erlaubt sich Böhnisch, wenn er der "Widerlichkeit des mafiösen Frauenhandels" gegenüberstellt, dass "Frauen in Führungspositionen" aufrücken und gar, wie er behauptet, das "Alltagsmanagement der Konsum- und Kulturindustrie" "beherrschen". Auch das scheint sich also irgendwie auszugleichen. Frauen, so Böhnisch weiter, bewegten sich heutzutage "ungeniert, mit der ihnen eigenen Überraschungsfähigkeit in den männlichen Domänen". Zudem könnten sie auf "ihre Naturkarte" setzen, indem sie "ihre Mutter- und Familienfunktion gegen die Männer" wendeten und "ihre Gebärmacht" ausspielten, wie er ebenso realitätsfern wie zynisch formuliert. Gehe man hingegen die "Galerie der Gescheiterten" durch, so seien die Männer "deutlich überrepräsentiert": "Bei den Schulabbrechern, in den Gefängnissen, in den Verlustlisten der Beziehungskatastrophen - ab und an ein Amokläufer". Vielleicht ja deshalb, weil die Opfer der Amokläufer und der 'Beziehungskatastrophen', wie er von Männern begangene Morde an Freundinnen, Ehefrauen und Kindern verschleiernd nennt, nicht in den Gefängnissen, sondern auf den Friedhöfen zu finden sind.

Jedenfalls, so Böhnisch, sei es kein Wunder, dass das "biologische Vermögen" des weiblichen Geschlechts "kulturelle und soziale Gegenreaktionen und Folgen" zeitige. Mann muss sich ja schließlich wehren! Aber auch das hilft den armen Männern wenig. Denn während sie an ihrer "harten Einsamkeit" so sehr leiden, dass sie im Grunde gar nicht anders können, als sexistisch und misogyn zu sein, sind "Frauen und Mädchen immun [...] gegen die sexistischen Abwertungsrituale" geworden und reagierten "nicht mehr furchtsam oder mit gemischten Gefühlen" - sondern "kopfschüttelnd".

Kopfschütteln. Weit lesenswerter ist da Margrit Brückners Untersuchung der "Geschlechterverhältnisse im Spannungsfeld von Liebe, Fürsorge und Gewalt". Zunächst einmal legt sie entgegen Böhnischs Behauptung einer "neuen weiblichen Hegemonialität" dar, dass wir in einer "von männlicher Hegemonie geprägten Kultur" leben. Sodann meidet sie - anders als ihr Mitherausgeber - Klischees, darunter nicht zuletzt das des aggressiven Mannes und der im Unterschied dazu fürsorglichen beziehungsweise friedfertigen Frau. Diese Zurechnungen entsprächen zwar den Geschlechterrollen, übersähen jedoch, dass sie "auch Resultat kultureller Zuschreibungen" und von "Ausblendungen" sind, womit der Blick auf die jeweilige "Gemengelage" verstellt werde. Frauen seien ebenso zur Gewalt fähig wie Männer. Was nun männliche Gewalt an Frauen und Mädchen betrifft, so verkennt sie nicht, dass sie in der Gesellschaft "strukturell verankert" ist, doch liest sich das anders als bei Böhnisch nicht wie eine Exkulpierung der männlichen Gewalttäter, denn Brückner verlangt neben "aktivem Opferschutz" ganz dezidiert das "nachhaltige Zur-Rechenschaft-Ziehen der Täter".

Kein Bild

Margit Brückner / Lothar Bonisch: Geschlechterverhältnisse. Gesellschaftliche Konstruktion und Perspektiven ihrer Veränderung.
Juventa Verlag, Weinheim und München 2001.
208 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3779913682
ISBN-13: 9783779913689

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch