Gender und Geschlechtsidentität in Forschung und Ausbildung

Gesa Heinrichs und Erika Hasenhüttl arbeiten am (post-)feministischen Diskurs

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einführungen in feministische Theorie und Gender Studies erfreuen sich seit einiger Zeit einer gewissen Konjunktur (vgl. https://literaturkritik.de/txt/1999-04/1999-04-07.html und https://literaturkritik.de/txt/2000-07/2000-07-04.html). Mit ihrem Buch "Bildung, Identität, Geschlecht" hat Gesa Heinrichs den bereits vorliegenden Studien eine weitere - in diesem Fall als postfeministisch ausgewiesene - hinzugefügt. Wie der Titel verrät, geht es ihr jedoch um eine spezifische Fragestellung. Heinrichs möchte eine neue Beschreibung des Zusammenhangs von Identität und Bildung vorlegen, die der "Komplexität der Erfahrungen dessen, was in einer postmodernen Gesellschaft als 'Mensch' bezeichnet wird, gerecht wird", womit sie die Messlatte recht hoch gelegt hat; und - um es vorwegzunehmen - sie nimmt sie mit Bravour.

Ihr Buch ist im Wesentlichen in zwei Teile gegliedert. Im ersten zeichnet sie den (post-)feministischen Diskurs zu Geschlecht, Identität und Differenz seit Beginn der Neuen Frauenbewegung nach, um sich sodann der Problematik und Gewaltförmigkeit des "Erwerbs und der performativen Erhaltung" von Geschlechtsidentität und der (Geschlechts-)Identität im bildungstheoretischen Diskurs zuzuwenden. Beiden Teilen vorangestellt ist eine ebenso innovative wie erhellende Bestimmung von "Identität als 'In-Differenz-Werden'". In Auseinandersetzung mit den Identitäts- und Subjekttheorien von Wolfgang Welch, Fredric Jamson, Dietmar Kamper und Jacques Lacan zeigt Heinrichs, dass Identität nichts ist, dessen man "habhaft" werden kann, das nicht "substantiell", sondern "immer flurierend" ist. Dabei geht es der Autorin weder darum, "den Begriff der Differenz nicht gegen den der Identität auszuspielen", noch darum, "generell den dichotomen Konstruktionen in Theorien zu entgehen". Vielmehr versteht sie ihren Neologismus als ein "drittes Term", das allerdings "kein Term der Synthese" sei, sondern ein "exzentrisches". Die mit ihm mögliche Kritik des bisherigen Identitätsdenkens sei nicht als "Verabschiedung" des Identitätsbegriffs aufzufassen, sondern als dessen "Verschiebung", die eine "sinnhafte und produktive" Verbindung von modernen und postmodernen Theorien ermögliche. So könne es gelingen, eine postfeministische Bildungstheorie zu entwerfen, die Bildung zwar nachdrücklich als Geschlechterbildung versteht, ohne dabei allerdings Geschlecht als "einzig entscheidende Kategorie" aufzufassen.

In ihrem anschließenden Gang durch die (post-)feministische Theorie widmet sich Heinrichs unter anderem Simone de Beauvier, Luce Irigaray, Gayle Rubin, Nancy Chodorow, Nancy Fraser, Seyla Benhabib und insbesondere Judith Butler, der sie sich nicht nur besonders verbunden fühlt, sondern deren Buch "Gender Trouble" sie als Beginn der Entwicklung des Feminismus zum Postfeminismus ausmacht. Postfeminismus ist nicht als eine dem Feminismus folgende Periode oder gar als Verabschiedung des Feminismus zu verstehen, wie Heinrichs betont. Vielmehr handele es sich beim Postfeminismus um einen "konzeptionellen Wandel", ein "Redigieren des Feminismus", wie sie in Analogie des Verhältnisses von Moderne und Postmoderne darlegt.

Mit Butler, der "innovativsten Denkerin des Feminismus bzw. seiner Entwicklung im Postfeminismus", gehe es darum zu eruieren, ob und wie im Verständnis von "Identitätsbildung" als "zwangsläufig performativem Akt" überhaupt "Transformationen" möglich seien; wie also eine - postfeministische - Praxis zu denken sei, bei der die Begriffe "Subjekt" und "Identität" nicht als "normative Setzungen" gegeben sind. Hierzu ist die Frage zu beantworten, ob es ohne festen Identitätsbegriff "theoretisch begründbar und praktisch durchführbar" ist, sich für ein "gerechteres Geschlechterverhältnis" einzusetzen. Butlers Versuch, "die Gleichheit der Entstehung von Subjekt und Normierung, von Sprache und Gesetzeswiederholung" nachzuweisen und Essentialismen wie 'Frauen' zu dekonstruieren, sei der "kritischen Idee der Notwendigkeit eines Ringens um Freiheit, als eines Ringens um den anderen Ort" verpflichtet. Der "Zuwachs an Freiheit" müsse als ein "Zuwachs an Möglichkeiten" gedacht werden, die sich einem "postsouveränen Subjekt" eröffnen, das die "Idee des Subjekts als Zentrum und Grund von Bedeutung" dekonstruiert habe. So gewinne Butler einen "Spielraum für neue Formen des Verständnisses von Geschlecht", das stets in der "Spannung von Handlungsmöglichkeiten und Handlungsbeschränkungen diskursiv produzierter Subjekte" stehe. Es gilt also, diesen Spielraum für die Entwicklung einer Bildungstheorie in der Postmoderne zu nutzen, wobei allerdings der "Versuchung" zu widerstehen ist, Heterosexualität zum "Feindbild schlechthin" zu erklären. Stattdessen muss es um eine differenzierte Analyse der "scheinbaren Kausalität von Anatomie, Begehren und Geschlecht" gehen.

Eine "dezidiert feministische Bildungstheorie" stehe noch aus, stellt Heinrichs zu Beginn des letzten Abschnittes zu Recht fest. Daher gehe es um die Ausarbeitung eines bildungstheoretischen Konzepts, das sich der Problematik der Subjektwerdung in der Postmoderne stellt und dabei die Perspektive des Geschlechts berücksichtigt, ohne den Blickwinkel auf sie zu begrenzen. Dabei gelingt es der Autorin allerdings auch nur, erste Präliminarien zu formulieren und eine Propädeutik vorzulegen. Doch das ist nicht wenig und kann vielleicht auch nicht anders sein, denn nicht ohne Grund bittet Heinrichs darum, ihren Hinweis, dass sie nur von einem "Ansatz" spricht, "ernst zu nehmen".

Die "Konstitution eines Selbst als Ziel von Bildung", so ihr Ansatz, ist zu respektieren, jedoch muss es dem "fragmentarischen und pluralen Charakter der Identität" gerecht werden. Denn der "Erwerb von Identität" ist weder autonom noch führt er zur Autonomie. Er impliziert "Unterwerfung unter den Diskurs" und hat "normierenden und nivellierenden Charakter".

Im Anschluss an Butler setzt Heinrichs also nicht auf die mögliche Autonomie oder Emanzipation des Subjekts, sondern auf eine Praxis der "Resignifizierung", die trotz oder wegen der "Verstrickung in die vorgegebene Formierung" möglich bleibt. Heinrichs Arbeit zielt also auf eine Bildungskonzeption, in der Bildung auch dann noch als möglich gedacht wird, "wenn das Subjekt als diskursiv produziertes verstanden wird" und ihm keine den Diskurs transzendierende Handlungsfreiheit zuerkannt wird. Eine postfeministische Bildungstheorie solle "normative Vorgaben" von Geschlechtsidentität vermeiden. Zudem dürfe sie nicht beabsichtigen, "einseitig mädchenparteilich" zu wirken oder versuchen, eine bestimmte Vorstellung der Geschlechterdifferenz durchzusetzen, denn Postfeminismus habe nicht die "erneut binäre Festschreibung von Männlich- versus Weiblichkeit zum Ziel", sondern unternehme im Gegenteil gerade die "Aufweichung der Geschlechterdifferenz". Wesentlich ist hierbei, dass das Ziel postfeministischer Geschlechterbildung nicht in bloßer "Toleranz" gegenüber "unterschiedlichen Begehrensformen" besteht, sondern dass es ihr um die "Anerkennung radikaler Differenzen" geht.

Seit dem letzten Jahr ist Gesa Heinrichs als Personalentwicklerin in einem internationalen Konzern tätig. Bleibt zu hoffen, dass sie damit für die Wissenschaft nicht verloren ist!

Anders als Heinrichs wendet sich Erika Hasenhüttl einem konkreten Bereich der Bildungspraxis zu und untersucht in ihrer empirischen Studie die Situation der LehrerInnenausbildung in Österreich unter dem Aspekt der "Genderfrage". Im ersten Teil des Buches zieht sie mit Hilfe zahlreicher Statistiken zur Personalstruktur an Schulen, einer feministischen Schulbuchkritik und Untersuchungen zu geschlechterspezifischen Interaktionsformen von SchülerInnen und deren Wahrnehmung im Unterricht eine ausgesprochen düster ausfallende Bilanz der Situation an österreichischen Schulen.

Im zweiten Teil wird die Geschlechterthematik am Beispiel zweier Pädagogischer Akademien in Österreich beleuchtet. Hierzu untersucht Hasenhüttl Personalstrukturen, Lehrpläne und Studienführer auf mögliche sexistische Elemente und geht der Frage nach, "inwieweit die Geschlechterthematik in den Ausbildungsgängen verankert ist". Das Ergebnis fällt nicht erfreulicher aus. Wenn Hasenhüttl resümierend die Frage, wie sensibilisiert die angehenden Pädagoginnen für die Genderthematik sind, "kurz und bündig" mit "gar nicht" beantwortet, so ist das im Grunde noch zu optimistisch, geht doch aus den Interviews hervor, dass Studentinnen die Benachteiligung von Frauen wiederholt biologistisch begründen und sie zu einem Großteil dezidiert antifeministisch eingestellt sind.

Zum Abschluss ihrer Studie stellt die Autorin das Studienreformprojekt "PIL - Patriarchatskritik im Lehramtstudium" der Arbeitsstelle Frauenforschung der TU Berlin vor und fordert "für die Integration feministischer Forschung in der LehrerInnenausbildung" unter anderem "Änderungen personeller Strukturen" und "Integration von feministischer (Schul-)Forschung in die Curricula".

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Gesa Heinrichs: Bildung, Geschlecht, Identität. Eine (postfeministische) Einführung.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2001.
263 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3897410699

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Titelbild

Erika Hasenhüttl: Feministisch angehaucht? Zur Genderfrage in der LehrerInnen-Ausbildung.
Milena Verlag, Wien 2001.
252 Seiten, 18,80 EUR.
ISBN-10: 3852860873

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