Wissenschaftsgeschichte als Familiengeschichte

Ernst Peter Fischers "Kleine Geschichte der Wissenschaft in Porträts"

Von Frank HerlitschkaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Herlitschka

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wissenschaft fühlt sich in Deutschland ungeliebt und versucht, etwas für ihre Popularität zu tun." Man kann Ernst Peter Fischer, dem Autor von "Leonardo, Heisenberg & Co", alles vorwerfen, nicht aber scheinheilige Absichtslosigkeit. Die Familie der Wissenschaft wirbt um öffentliches Verständnis, möchte "ein 'public-understanding' erreichen" und "die in diesem Buch vorgelegten Portraits verstehen sich als ein Beitrag zu diesem Projekt". Es geht also nicht um das Verstehen von Wissenschaft, sondern um das Verständnis für Wissenschaft. Nicht Einsichten sollen vermittelt, sondern Zuneigung geweckt werden. Mit anderen Worten: die Braut will geliebt werden! Das ist keine billige Polemik meinerseits, das steht so im Vorwort: "Vielleicht kann man sich bei einem Spaziergang in einzelne Figuren sogar ein wenig verlieben." Es tut mir leid, aber diese devote Anbiederung ist schwer erträglich. Wenn es doch um die große Liebe ginge! Aber es geht ja auch nur um "Eine kleine Geschichte der Wissenschaft in Porträts" (so der Untertitel), da kann man auf 'Großes' wohl nicht hoffen?! Doch gemach, gemach. Der erste Eindruck muss nicht in ein endgültiges Urteil eingesperrt münden. Aber dieses Vorwort tut dem Buch wirklich keinen Gefallen. Widerstände bauen sich auf, die wollen erst mal überwunden werden. Ich bin auf diese als "Eingang" überschriebene Vorrede deswegen so ausführlich zu sprechen gekommen, weil sie natürlich nicht nur für sich allein steht (oder fällt!), sondern weil sie ein Licht wirft auf die nachfolgenden Kapitel. Die Programmatik ist deutlich und unverkennbar: mittels persönlicher Daten berühmter Wissenschaftler soll um den Ruf der Wissenschaft in der Gegenwart gerungen werden.

Ernst Peter Fischer hat mit seiner "Kleinen Geschichte" in Wirklichkeit Großes im Sinn - und das wirkt sich aus nicht nur auf die Auswahl der zu porträtierenden Wissenschaftler, sondern auch auf die Darstellungsform der jeweiligen 'Studien'. Tatsächlich bastelt Ernst Peter Fischer an einem Menschenideal. Wie dieses Ideal aussieht, darüber gibt er bereits in seinem ersten Porträt über Leonardo da Vinci Auskunft: "Denker, Handwerker, Künstler - dieser Dreiklang scheint der eigentlich menschliche Ton zu sein, und wahrscheinlich hat er nie wieder so gut geklungen wie in der Person mit Namen Leonardo, die alle drei Fähigkeiten in sich vereinen konnte." An dieser Biographie Leonardos muss sich also alles menschliche Leben messen lassen. Mehr noch: von diesem "menschlichen Ton" hängt unser gegenwärtiges und zukünftiges Leben auf der Erde ab, denn "der gelehrte Mensch und der tätige Mensch - Homo sapiens und Homo faber - zusammen bringen nämlich erst den Fortschritt zustande, den wir bis in unsere Tage wollen und benötigen." Aha - will man da ausrufen - da hat also jemand den Schlüssel gefunden. Aber genauso wie mit der Anbiederung zuvor, verhält es sich mit der Anmaßung jetzt: sie steht nicht isoliert da (und könnte da ruhig stehen bleiben), sondern sie schafft den normativen Rahmen, innerhalb dessen sich alle folgenden Biographien abhandeln lassen müssen. Das ist eine Zumutung vor allem für den Leser. Den treibt vielleicht - ganz im Gegensatz zum Autor - die Neugier doch weiter in das Buch hinein. Man weiß ja nie. Doch man hätte es wissen müssen. Es wird immer schlimmer. Die Verzerrungen der jeweiligen Biographien nehmen ein Ausmaß an, das die Erträglichkeitsgrenze bei weitem überschreitet. Wenn der Raum sowieso schon begrenzt ist, wenn Platzmangel die Darstellungen schon notgedrungen einschränkt, dann sollte der Autor vielleicht erst recht einen weiten Blick riskieren, um wenigstens im Ansatz so etwas wie Offenheit dem menschlichen Leben gegenüber zu garantieren. Doch Fischer tut genau das Gegenteil. Er schließt die Texte von vornherein ab, so dass deren Erkenntniswert gegen Null geht. Aber es kommt natürlich auf Erkenntnis gar nicht an, wie ich vorher gezeigt habe. Es bleibt also die Frage, ob es dem Autor wenigstens gelingt, Sympathie für 'seine' Wissenschaftsfamilie zu erringen, ob auf diesem zweifelhaften Niveau wenigstens so etwas wie Erfolg zu verzeichnen ist. Und um es gleich vorweg zu sagen: das ist der Fall nicht.

Und zwar deshalb nicht, weil die Anmaßung, die ihren Grund in der normativen Setzung zu Beginn findet, sich in den einzelnen Porträts als zulässig beweisen muss, und der Autor deswegen zu ganz und gar unglaubwürdigen Darstellungen gelangt. Ein bisschen Geniekult da, eine Prise Idealisierung dort - und fertig ist der Über-Mensch. Das geht bis hin zur Glorifizierung einzelner Biographien. Zum Beispiel beginnt das Kapitel über den Erfinder der Quantenmechanik, Heisenberg, so: "Werner Heisenberg war kreativer und ehrgeiziger als alle anderen Physiker seiner Generation. Er war ein Mann von beneidenswerten Talenten, der nicht nur von frühester Jugend spielerisch leicht die Werkzeuge der Mathematik handzuhaben wußte, der nicht nur konzertreif das Piano spielte und die klassische Klavierliteratur umfassend beherrschte, der nicht nur scheinbar mühelos fremde Sprachen erlernen konnte und zum Beispiel in kürzester Zeit in der Lage war, Vorträge auf Dänisch zu halten, der nicht nur ungewöhnlich gute Qualitäten als Skiläufer in schwierigen Abfahrten (fern von touristisch erschlossenen Pisten) zeigte, der vor allem gute physikalische Ideen nur so aus dem Ärmel zu schütteln schien". Noch Fragen? Hier - wie anderswo in dem Buch auch - tritt dem Leser kein Mensch vor Augen, sondern ein Konstrukt nach des Autors Gnaden. Auf der rhetorischen Leiter führt Fischer Heisenberg direkt auf den Gipfel. Schade nur, dass er den Menschen dabei vergisst. Dieses Verfahrensmuster kennzeichnet sämtliche Porträts, wenn man überhaupt noch von Porträts sprechen kann. Gesichter vermochte zumindest ich nicht zu erkennen; die Charaktere bleiben im Dunkeln; Menschliches findet sich nicht im Olymp der Wissenschaft.

Stattdessen findet sich Überflüssiges zuhauf. Doch darüber könnte man hinweglesen bzw. -blättern. Stilistische Grobheiten fallen allerdings auf den Autor zurück. So steht zum Beispiel in dem Kapitel über den Physiker Erwin Schrödinger unter der Überschrift "Was ist Leben sonst noch?" folgender Satz: "Während der Arbeit [...] gelingt es Schrödinger, eine irische Schauspielerin zu schwängern." Wer auf "public-understanding" aus ist, sollte vielleicht an das Gelingen andere Maßstäbe setzen!

Ernst Peter Fischer will es aber nicht bei diesem Buch belassen. Nachdem er mit den Titeln "Aristoteles, Einstein & Co" und dem hier besprochenen "Leonardo, Heisenberg & Co" bereits an die Öffentlichkeit gegangen ist, soll in nicht allzu ferner Zukunft aus diesem Duo ein Trio werden. "Doch zunächst muß der zweite [Band] gekauft (und hoffentlich auch gelesen) werden." Leser besitzen dank ihrer (potentiellen) Freiheit Macht. Ab und an sollten sie von dieser Macht auch Gebrauch machen. Sonst trifft am Ende noch der Satz, den Fischer über Heisenberg schrieb, auf ihn, den Autor, selbst zu: "Wenn dieser große Griff letztlich auch ins Leere ging und vergeblich blieb, so ist [sein] Name doch weit über sein Fachgebiet hinaus berühmt geworden".

Titelbild

Ernst Peter Fischer: Leonardo, Heisenberg & Co. Eine kleine Geschichte der Wissenschaft in Portraits.
Piper Verlag, München 2000.
362 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3492039421

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