Fontanes Schülerin?

Wiederzuentdecken: die deutsch-jüdische Romanschriftstellerin Alice Berend

Von Anke HeimbergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Heimberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der kleine, aber feine AvivA Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Romane der deutsch-jüdischen Erfolgsautorin Alice Berend wieder zugänglich zu machen. Erzielte Alice Berend vor allem mit ihren zwischen 1910 und 1920 erschienenen Romanen wie "Frau Hempels Tochter" (1913), "Die Bräutigame der Babette Bomberling" (1915) oder "Spreemann & Co" (1916), die alle in S. Fischers "Bibliothek zeitgenössischer Romane" erschienen, Auflagen von mehr als hunderttausend Exemplaren, so ist ihr Name heute wohl nur noch einem kleinen Kreis einschlägig interessierter LiteraturwissenschaftlerInnen bekannt; ihre gut fünfundzwanzig zu Lebzeiten veröffentlichten Romane sind vergessen und nur noch - mit viel Glück - in Bibliotheken oder Antiquariaten zu bekommen.

Ihren Durchbruch schaffte die 1875 in Berlin geborene älteste Tochter einer jüdischen Fabrikantenfamilie 1912 mit dem Roman "Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel", dem bereits mehrere Bücher vorausgegangen waren - darunter auch der jetzt neu aufgelegte Berliner Theaterroman "Dore Brandt" (1909). Zahlreiche Romane, die zumeist im kleinbürgerlichen Milieu Berlins angesiedelt waren, sollten folgen. Zeitgenössische Kritiker hoben nicht nur immer wieder Alice Berends realistische Darstellung, ihre detailgenaue Schilderung der Welt der 'kleinen Leute' - Dienstmädchen, Wirtsfrauen, Krämer, Schauspielerinnen, Schuster etc. - hervor, sondern zeigten sich überdies begeistert von der ironisch-humoristischen Schreibweise der Romanautorin. Ähnlich wie der gut zwanzig Jahre später debütierenden Schriftstellerin Irmgard Keun bescheinigten sie Berend ein außergewöhnliches Talent als Humoristin. "Soweit das Auge reicht, die einzige Frau mit Humor", behauptete gar überschwänglich ein Rezensent, als 1919 ihr Roman "Der Glückspilz" erschien. Dieser Humor hatte sich erstmals voll und ganz in Alice Berends 1915 publizierten und meistverkauften Roman "Die Bräutigame der Babette Bomberling" entfaltet, der nun bei AvivA seit nahezu vierzig Jahren endlich wieder aufgelegt wird: Mit ironischem Blick begleitet hier die Autorin ihre Protagonistin, Mutter Anna Bomberling, auf ihrer verzweifelten Suche nach einem passenden Ehemann für Tochter Babette. Obwohl die Tochter jung, schön und wohlhabend ist, müssen doch diverse Anstrengungen - von der Schlankheitskur über eine Italienreise bis hin zur Heiratsvermittlung - unternommen werden, um sie erfolgreich in die Ehe bzw. an den Mann zu bringen. Denn die potentiellen Bewerber, egal ob verarmter Adliger, Student oder neureicher Emporkömmling, schreckt eines nachhaltig ab: Die großzügige Mitgift der Babette beruht auf der erfolgreichen Produktion von Särgen und Urnen der Fabrik Bomberling: "Niemand wird es beglücken, wenn sich im Theater der nette, rundliche Herr Nachbar, den man für einen gediegenen Rentner hielt, unvermutet als Sargfabrikant en gros und en detail vorstellt. Ohne Entzücken streift man nun die Eleganz seiner vollen, lächelnden Gattin, die der lebendigste Beweis für das Blühen seines Geschäfts ist. Auch wenn es der Freundliche uns nicht noch vor dem Wiederaufgehen des Vorhangs zuraunte, wir ahnten es, daß sein Umsatz von Jahr zu Jahr steigt."

Neben amüsanten Milieu- und Charakterstudien begegnen die LeserInnen in Alice Berends Romanen vor allem immer wieder der Heimatstadt der Autorin: Berlin. In der gelungenen Familiensaga "Spreemann & Co" (1916) zeichnet sie beispielsweise anhand der Entwicklung einer Berliner Kaufmannsfamilie das Bild Berlins von der Zeit der Befreiungskriege bis zur Gründerzeit nach. Berends 1928 entstandener Roman "Der Herr Direktor" zeigt dagegen das moderne, schnelle und schnelllebige Berlin der 'Roaring Twenties'. Rund um die Modethemen Automobilsport und Berliner Sechstagerennen - offensichtliche Anleihen an den Publikumsgeschmack der Zeit - erzählt Berend gewohnt witzig und flott Episoden aus dem Leben des Glühlampenfabrikdirektors Woldemar Bohlen und seiner Familie, bestehend aus der blaublütigen Ehefrau Margarethe 'Marga' von Perlewitz, der sportwütigen Tochter Ortrud, den missratenen Söhnen Hellmut und Moritz sowie dem alten Herrn von Perlewitz, Oberst a. D. In der vorliegenden Ausgabe wird das Lesevergnügen des Romans übrigens zusätzlich durch ausgewählte Fotografien aus dem Berlin der zwanziger Jahre gesteigert. Die historischen und zeitgeschichtlichen Schilderungen Berlins trugen Alice Berend bald den Ruf einer 'kleinen Fontane' ein; Kurt Pinthus rühmte die Autorin noch 1932 als "Schülerin und Fortsetzerin Theodor Fontanes [...], der den eigentlichen Berliner Roman begründet hat".

Der zuletzt veröffentlichte Roman aus der 'Berend-Reihe', der 1909 erstmals erschienene Berliner Theaterroman "Dore Brandt", stammt aus der Zeit vor Alice Berends erstem großen Romanerfolg. Und das merkt man der Qualität des Romans auch an. Die Offizierstochter Dore Brandt hat sich leidenschaftlich dem Theater verschrieben, für die Verwirklichung ihres Lebenstraums sogar den Bruch mit der Familie in Kauf genommen. Die Nachmittage verbringt die Schauspielerin meist mit einer Clique junger Künstler im Café Metropol, am Abend steht sie auf der Bühne eines Theaters in der Nähe des Berliner Bahnhofs Friedrichstraße. Als Dore Brandt mit der Rolle der Klara in Friedrich Hebbels "Maria Magdalene" den ersehnten Durchbruch schafft und auch der umjubelte Theaterschauspieler Ernst Bergmann endlich ihre Zuneigung erwidert, wähnt sich die junge Frau im Glück. Doch der Geliebte entpuppt sich bald als treuloser Luftikus und unzuverlässiger Spieler; schließlich muss Dore Brandt ihre Karriere am Theater wegen einer ungewollten Schwangerschaft unterbrechen. Sie zieht sich zunächst in die Umgebung Berlins, nach Schlachtensee, zurück und bekommt dort ihr Kind. Nach einiger Zeit kehrt sie als gefeierter Star zur Bühne zurück. So weit, so gut. Aber Alice Berend lässt es nicht bei diesem 'unhappy end' bewenden; möglicherweise als Konzession an den Massengeschmack der Zeit stellt die Autorin ihrer - für damalige Verhältnisse sicherlich ungewohnt - starken Frauenfigur Dore Brandt, der es trotz aller gesellschaftlichen Hindernisse und Konventionen gelingt, Kind und Karriere zu vereinbaren, doch noch einen (Ehe-)Mann zur Seite: Ernst Bergmann kehrt schließlich reumütig und geläutert zu Dore Brandt zurück.

Bereits in dem frühen Roman Alice Berends sind die charakteristischen Berend'schen Stilelemente zu erkennen - realistische Milieuschilderungen (hier: die Berliner Theaterszene zu Beginn des 20. Jahrhunderts) oder Typenbildungen -, sie später zur viel gelesenen Autorin machen werden. Nur leise klingt im Text der viel gerühmte Humor der Schriftstellerin durch. Beispielsweise wenn sie die alte Krämersfrau Minna Faber schildert, die die alleinerziehende Dore Brandt zur Unterstützung in ihren Haushalt geholt hat und die nun Dore bewundert "mit der ganzen gruseligen Hochachtung, die der Kleinbürger vor dem Geheimnis: 'Künstler' empfindet. Wie oft bedauert sie, daß ihre einstigen Bekannten zerstoben oder gestorben waren, und sie vor niemand mit Dore prunken konnte. Aber sie versäumte wenigstens nie eine Gelegenheit, Dores Stellung hervorzuheben".

Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten ging Alice Berends Schriftstellerkarriere abrupt zu Ende. Ihre Bücher wurden 1933 sofort auf die "Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums" gesetzt. 1935 emigrierte sie mit ihrer Tochter Carlotta über die Schweiz nach Florenz. Ihr zweiter Mann, der Maler Hans Breinlinger, sagte sich von ihr los und übernahm ihr Vermögen, darunter die von ihr erschriebene Villa in Berlin-Zehlendorf. Von ihren Einkünften völlig abgeschnitten starb Alice Berend 1938 nach schwerer Krankeit mittellos und vergessen im italienischen Exil.

Titelbild

Alice Berend: Die Bräutigame der Babette Bomberling. Roman. Mit einem Nachwort von Britta Jürgs.
AvivA Verlag, Berlin und Grambin 1998.
149 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3932338030

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Titelbild

Alice Berend: Der Herr Direktor. Roman. Mit einem Nachwort von Britta Jürgs.
AvivA Verlag, Berlin und Grambin 1999.
187 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3932338073

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Titelbild

Alice Berend: Dore Brandt. Ein Berliner Theaterroman. Mit einem Nachwort von Britta Jürgs.
AvivA Verlag, Berlin und Grambin 2000.
139 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3932338111

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