Lamento

Stephan Krawczyks Roman "Steine hüten"

Von Andrea WolffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Wolff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie schon sein Debutroman "Das irdische Kind" ist Stephan Krawczyks "Steine hüten" ein autobiographisch geprägter Roman. Der Erzähler ist inzwischen erwachsen geworden und wandelt scheinbar ziellos durch das Berlin der späten neunziger Jahre. Dabei fühlt er sich als "Chronist seiner Zeit" verpflichtet, er beobachtet, kommentiert und kritisiert. Verschont bleibt dabei nichts und niemand - weder die Politiker Bill Clinton und Tony Blair noch der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki.

Krawczyk kritisiert die immer stärkere Technologieorientierung unserer Gesellschaft, die Ausrichtung an materiellen Werten und die zunehmende Isolation des Einzelnen. Sein kaleidoskopartiges Panorama unserer "real-existierenden Demokratie" ist durchsetzt von Erinnerungen an seine Kindheit und Dissidentenzeit in der DDR. Unabhängig davon, ob den Leser Krawcyzks zum Teil selbstgerecht anmutende und häufig verallgemeinernde Reflexionen unserer Zeit wirklich interessieren, bieten die einzelnen Prosastücke dennoch in Teilen ein lebendiges und intellektuell anregendes Sittenbild unserer Republik. Krawcyzk will aber mehr - er möchte einen Roman schreiben und ergreift jedes denkbare Mittel, um einen journalistischen Prosatext zu einem Stück Literatur zu machen. So reflektiert sein namenloser Erzähler permanent den Prozess des Erzählens - allerdings ohne dass das Erzählte an irgendeiner Stelle des Textes tatsächlich hinterfragt wird.

Auch die assoziativ miteinander verknüpften Beobachtungen und Gedanken des Erzählers sind durch Leitmotive oder literarische Techniken wie Kontrastierung, Perspektivwechsel und Verfremdung häufig künstlich aneinander geschraubt. So kulminiert die das Buch durchziehende Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Version und Perversion in der Figur des Samuel Beck - dem Alter Ego des Erzählers, ohne dass dem Erzählten aber dadurch eine neue Dimension verliehen wird. Auch in seiner Metaphorik greift Krawczyk häufig daneben. So spricht sein Erzähler vom "Uterus im Leib der Ortlosigkeit" - einer Metapher, die sich selbst ad absurdum führt. Oder aus www wird "weh.weh.weh" und damit ein sehr flaches Bild für die von Krawczyk kritisierte Technologieorientierung unserer Gesellschaft.

Kurzum - "Steine hüten" ist zwar eine durchaus anregende Auseinandersetzung mit einem Stück Zeitgeschichte, wo immer der Text aber versucht, die Grenze vom Journalismus zur Literatur zu überschreiten, sind Autor und Erzähler gleichermaßen überfordert. Krawczyk erzählt nicht, er lamentiert.

Titelbild

Stephan Krawczyk: Steine hüten.
Verlag Volk & Welt, Berlin 2000.
240 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3353011757

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