Durchwachsenes zur Evolution

Eine zweibändige Geschichte der Biologie in Portraits

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die von Ilse Jahn und Michael Schmitt einberufene Personalversammlung der mehr als 50 Männer und Frauen, der die Biologie ihren Siegeszug verdankt, steckt einen Rahmen zwischen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Carl von Linné) und der 1992 verstorbenen Nobelpreisträgerin Barbara McClintock ab. Zu den vorgestellten Vertretern der "klassischen" Biologie gehören Caspar Friedrich Wolff, Cuvier, Lamarck, Alexander von Humboldt, Matthias Jacob Schleiden und andere. Lediglich in Randnotizen erwähnt werden Blumenbach, Leeuwenhoek und Georg Forster. Jedes Portrait beginnt mit einem biografischen Abriss, darauf folgen Informationen zu Werk und Wirkung der Forscherpersönlichkeiten.

Der Aufbau dieser Biologiegeschichte in Einzelportraits lässt die beiden Bände vor allem als Nachschlagewerk geeignet erscheinen, eine konsistentere Betrachtung zentraler Sachverhalte wie Entwicklung und Vererbung sowie eine stärkere Verklammerung einzelner Etappen ihrer Erforschung hat zwangsläufig das Nachsehen. So erfährt der Leser im ersten Artikel zu Linné zwar etwas über den wichtigen Unterschied zwischen "künstlichen" und "natürlichen" Ordnungen, jedoch nichts darüber, wie die Schemata des "Systema naturae" und Linnés essentialistische Sicht der Natur im Hinblick auf ihre "Historisierung" und eine mögliche Evolution der Arten zu bewerten ist. Über die theologischen Implikationen der zum System erstarrten Natur schweigen sich die Autoren aus, die "Nemesis Devina" ist ihnen offenbar unbekannt.

Obwohl der folgende Beitrag zu Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon schließlich auf die Transformation der Arten eingeht, sucht man hier Buffons Linné-Kritik vergeblich. Obgleich er dem System seines Vorgängers eine gewisse heuristische Brauchbarkeit bescheinigte, bezog Buffon nachdrücklich Stellung gegen die von ihm so genannten "Wörtersammler", denen es zu verdanken sei, dass "die Sprache" der Botanik "schwerer als die Wissenschaft selbst geworden ist". Und Forster verhöhnt die "Naturalienmäkler", deren Tätigkeit sich in bloß verwaltender Gedächtnistätigkeit erschöpfe. Die klassifikatorisch verfahrende Naturgeschichte vom Schlage Linnés organisierte ihre Wissensbestände in erster Linie in räumlichen Bezügen, erst die Annahme unendlich feiner Abstufungen zwischen den Naturdingen sollte das Eindringen der Zeit und somit die Darwinsche Theorie ermöglichen.

Vorbildlich nimmt sich die neben den biologischen Besonderheiten auch die philosophisch-weltanschaulichen Konsequenzen des Haeckelschen "Vulgärmaterialismus" ausleuchtende Untersuchung von Christine Hertler und Michael Weingarten aus. Zu knapp und inhaltlich enttäuschend mutet dagegen Thomas Junkers Erörterung des Verhältnisses von Darwins Theorien zum Sozialdarwinismus an. Wenn Darwin sich auch nicht am Missbrauch seiner Theorien beteiligt haben sollte, so ist die verhängnisvolle Übertragung von Natur- auf Gesellschaftsprozesse doch bei ihm vorgezeichnet. Den "Kampf ums Dasein" begriff er als Folge der Vermehrung der Individuen, die sich nach dem Muster der Maltusschen Bevölkerungstheorie vollziehe.

Titelbild

Ilse Jahn / Michael Schmitt (Hg.): Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits. 2 Bände.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
1112 Seiten, 59,30 EUR.
ISBN-10: 3406446426

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