Nichtssagender Stadtrundgang

Thomas Heinolds prosaischer Gedichtband "blick richtung burg"

Von Monika MünchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Münch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Woran in dieser Welt nicht alles gedacht ist! Alfred Biolek verscherbelt seine Kochrezepte neuerdings als Glückwunschkarten, Harry Potter grinst von Kinderunterhosen und Verliebte können gar ihren Hintern mit zärtlichen Sentenzen - auf Klopapier verewigt - verwöhnen. Eigentlich bräuchten wir dergleichen nicht mehr. Aber, wie so oft, wir werden ja nicht gefragt, und so ist endlich auch ein Utensil für den literarischen Nürnberg-Touristen erschienen. Oder zumindest ist "blick richtung burg" letztendlich genau dazu missglückt: Von Südfriedhof bis Maxtorgraben bleibt Thomas Heinold in seiner bayrischen Enklave verhaftet, fühlt sich an scheinbar jeder Ecke zum Gedicht inspiriert.

Schon der Blick auf die ersten Seiten ernüchtert. Da wird nämlich erst mal artig die Vergangenheit aufgearbeitet, schließlich hat jeder gute Deutsche beim Stichwort Nürnberg an Hitlers Reichsparteitage zu denken. War ja klar. Freilich, der Blickwinkel weicht ein wenig ab von der allgemeinen Schulbuchmoral. Aber da haftet doch das Gefühl von öder Pflichtübung, die man hinter sich bringen will.

Erwartungsgemäß windet sich Heinold nach der Anlaufphase aus der Zwangsjacke der Vergangenheit, um bei seinen Betrachtungen am heutigen Stadtbild anzusetzen. Der Literaturtourist betrachtet das Dasein zwischen Christkindlsmarkt und Studentenleben mit den Augen eines verschreckten, einsamen lyrischen Ichs. Dieses scheut seine Mitmenschen, weicht ihnen aus, fühlt sich verfolgt. Kritik übt es nur leise, wenn gerade keine Stadtansicht zur Assoziation herhalten mag: "verwahrlosen das / läßt man heute nicht mehr nein jeder / verwahrlost für sich selbst". Eines tut es nicht: es rebelliert nicht gegen das, was es sieht.

Als hauptberuflicher Journalist hat sich Thomas Heinold die meiste Zeit an biedere Regeln zu halten, wie er mit Sprache umzugehen hat, worüber er schreiben darf - von diesen Zwängen hat er sich im vorliegenden Gedichtband befreit. Allerdings hat er sich ein wenig zu frei gemacht. Da reihen sich Sätze aneinander, denen allein durch den stark überbeanspruchten Zeilensprung eine Art von Phrasierung zuteil wird: denn mit Satzzeichen hält sich der Autor ebenso wenig auf wie mit dem Unterschied zwischen Groß- und Kleinschreibung. Die Quittung für diese dichterische Freiheit flattert prompt durchs Burgtor: nicht selten droht die Lust am Lesen in endlosen Bleiwüsten zu verdursten.

Solches Fehlen von Struktur birgt im Allgemeinen neue und spannende Lesarten. Doch in diesem Fall beschränkt sich das Spiel mit Sprache eben fast ausschließlich auf die Ambiguität des Enjambements, so lange, bis man sich wünscht, endlich in einer Zeile einem vollständigen Satz zu begegnen. Stattdessen trifft man am marientor, in der weintraubengasse und auf der maxbrücke immer wieder nur gehetzte Satzfragmente und Sinnstrukturen - dem Wirkungsspektrum des Zeilensprungs wohnt ja nicht nur ein verbindendes, sondern auch ein treibendes Element inne. Ist die Eile, in der dieser Stadtrundgang forciert wird, gewollt? Das wiederum ist unwahrscheinlich, denn das lyrische Ich hetzt nur den Leser, nicht sich selbst: für jede noch so selbstbezogene Reflexion bleibt schließlich ausreichend Zeit. Wenn es wenigstens vorwärts ginge! Aber inhaltlich tritt die gebrochene Erzählerfigur auf der Stelle, betrachtet ihr Städtchen mit einem halbherzig-kritischen Blick auf das Altbekannte. Und sie langweilt damit, weil sie keine Schlüsse zieht und in ihren Betrachtungen nicht einmal markante Akzente setzt.

Es herrscht ständige Anarchie der Worte, und die fällt auf die Nerven, vor allem deshalb, weil sich diese Un-Ordnung rein auf der syntaktischen Ebene abspielt. Im Inhalt seiner Gedichte lässt Heinold erschreckend wenig Raum zur Interpretation, erklärt sich zu ausführlich. Bis auf die Ebene der Wortwahl erstreckt sich diese Schwäche: Statt auf lyrische Sprache, greift der Dichter teilweise schon plump auf Alltagsausdrücke zurück, und selten bringt er jene Wortschöpfungen, die ein Gedicht zum Kleinod machen können. Er schöpft seine Mittel nicht sorgfältig genug aus, bleibt an der sprachlichen Oberfläche und ödet zu allem Überfluss den Leser noch mit inhaltlicher Schwäche und formaler Eintönigkeit an.

Immer dann, wenn sich das lyrische Ich seinen Erinnerungen und seinem Innenleben widmet, zeigt unser Heinold sich gewandter; da schafft er es - endlich - mit lyrischer Schilderung Stimmungen zu transportieren. In diesen oft kurzen Reflexionen zwingt er zum wiederholten Lesen, zu einem Nachvollziehen vor dem Verstehen. Man hat schließlich doch das Gefühl, ernst genommen zu werden, als fähig zur Interpretation eingeplant zu sein: "weil der dichter ein tod / ist der die friedhöfe / sucht über grabsteine / streicht lange vor / dem eigenen / ende"

Kein Bild

Thomas Heinold: blick richtung burg. Gedichte.
Bachmaier Verlag, München 1999.
88 Seiten, 10,10 EUR.
ISBN-10: 3931680177

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