Tomboy Butler?

Frauenforschung und Geschlechtergeschichte in den Kulturwissenschaften

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Das Geschlecht, das sich (un)eins ist?" - der Titel eines in den 70er Jahren erschienenen Buches der französischen Psychoanalytikerin Luce Irigaray stand Pate bei der Namensgebung einer interdisziplinären Ringvorlesung, die im Wintersemester 1998/1999 an der Universität Innsbruck stattfand. Sieglinde Klettenhammer und Elfriede Pöder haben die 21 Vorträge nun in einem Sammelband vorgelegt. Wie die Herausgeberinnen betonen, verstehen sich die Texte als Beiträge zur "Ent-Disziplinierung und zur Sondierung künftiger Zusammenarbeitsmöglichkeiten" und dienen der "Standortbestimmung theoretischer und methodischer Positionen". Die AutorInnen befassen sich vorwiegend mit kunst-, kultur- und geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen. So erkundet Otta Wenske etwa das griechische Amazonenbild "zwischen Mythos und Ethnographie", während sich Sabine Comploi, Brigitte Truschnegg und Lisa Noggler den "Geschlechterrollen in der antiken Ethnographie" zuwenden. Monika Jonas befasst sich mit "Frauen und Literatur im Mittelalter" und Sylvia Wallinger-Ge setzt sich mit dem "Homo ludens zwischen Eros und Tod" auseinander. Das "Frauenbild in Musiktheorie und Kompositionsgeschichte" wird von Monika Fink beleuchtet und Sybille-Karin Moser untersucht Geschlechtsspezifisches in der Kunstgeschichte.

Positiv hervorzuheben sind insbesondere die Beiträge von Ursula A. Schneider, Andrea B. Braidt und der Aufsatz von Elfriede Pöder, in dem sie die nicht nur in dieser Hinsicht zu Unrecht vergessene Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Margarete Susman als "Urheberin" des längst zum "festen terminologischen Inventar" gehörenden Konzepts des "lyrischen Ichs" ins Gedächtnis ruft. Schneider, die mit der Herausgabe der Kritischen Edition der Werke Christine Lavants betraut ist, räumt in ihrem Aufsatz "Christliche Dichterin oder Hexe" mit manchem Klischee über das angebliche "Kräuterweib" auf. Braidt widmet sich dem vierten und bislang letzten Teil der Alien-Filme: "Die Wiedergeburt". Dabei konzentriert sie ihr Augenmerk ganz auf zwei aufeinander folgende Sequenzen, anhand derer die Autorin Laura Mulveys Theorem der im narrativen Kino "filmisch umgesetzten Anwesenheit eines blickenden männlichen Subjekts auf der Leinwand" widerlegt.

Zu den weniger überzeugenden Beiträgen zählt hingegen der Sibylle Mosers, einer Radikalen Konstruktivistin der Siegener Schule. Sie interpretiert den feministischen Diskurs als autopoietisches System, das sich "permanent selbst hervorbringt, verändert und in diesem Sinne weiterentwickelt", und versucht die feministische Bekenntnisliteratur der 70er Jahre vor dem Verdikt feministischer Literaturwissenschaftlerinnen der 90er Jahre zu retten. Ein wesentliches Manko ihres Unternehmens besteht darin, dass sie das spezifisch Literarische der Romane, Erzählungen und Biografien ausblendet. Zudem will nicht so recht deutlich werden, ob sie innerhalb des literaturwissenschaftlichen Diskurses argumentiert oder versucht, einen Metastandpunkt einzunehmen.

Auch Kornelia Hausers Polemik gegen Judith Butler mag man sich nicht anschließen. Offenbar in Anlehnung an den marxistischen Kreisen vorgehaltenen Ökonomismus hat Hauser für Butlers theoretische Position den pejorativen Begriff "Kulturalismus" gefunden. Butlers Kulturalismus mache, so moniert Hauser, "die kulturelle Produktion auch von Geschlecht zum Ausgangs- und Endpunkt seiner Analysen". Zudem betreibe Butler, "Realitätsbewältigung als Sprachbewältigung". So werde der "Körper als Zeichensystem zum gesellschaftlichen Text" reduziert. Letztlich, so lautet das als vernichtend gedachte Verdikt, habe Butler "die Suche nach der Wahrheit" aufgegeben und statt dessen "die Vielfalt der Bedeutungen, d. h. hier die Vielfalt der Diskurse" installiert. Doch statt Butler zu widerlegen, zeigt Hausers Kritik eher, dass Hauser einem obsolet gewordenen Wahrheits-Begriff anhängt. Als vermeintlichen Beleg für die Absurditäten von Butlers Theorie und des vom Poststrukturalismus inspirierten Feminismus zieht die Autorin unter der Überschrift "Wissenschaftliche Kritik am Poststrukturalismus" schließlich Thomas Meineckes Buch "Tomboy" heran, das sie als "den Roman zur Theorie" bezeichnet. In einem "zentralen Satz" wechsele "die Protagonistin" - für Hauser wohl typisch poststrukturalistisch - "historische Zeiten und Thematiken in freier Assoziation". Hier erscheine Gender als "Stachel im zeichentheoretischen Fleisch der seltsamen Beliebigkeiten", "die uns fraglos umzingeln". Offenbar ist Hauser entgangen, dass es sich bei Meineckes Buch um eine Persiflage auf den (Post-)Feminismus handelt, in dem der Autor auch an der von Hauser herangezogenen Stelle Allerlei satirisch durcheinander wirbelt (Vgl. Christine Kanz: "Wozu Freud lesen, wenn Butler ihn für uns gelesen hat?" in literaturkritik.de 2/3, 1999). Hauser irrt also, wenn sie meint, anhand dieser Karikatur Butler und den poststrukturalistisch geschulten Feminismus desavouieren zu können.

Doch steht Hauser im vorliegenden Band mit ihrer Butler-Kritik weitgehend allein da. Wenn etwa die beiden Herausgeberinnen in ihren jeweiligen Beiträgen ganz en passant auf Butler zu sprechen kommen, so lesen sich die entsprechenden Stellen wie implizite Repliken auf Hauser. Die "häufig sehr heftig ausfallende Gegenpositionierung" sei "nicht immer nachvollziehbar", stellt Elfriede Pölder lakonisch fest. Sieglinde Klettenhammer zeigt hingegen zwar ein gewisses Verständnis dafür, dass Butlers Ansatz nach soziologischem und politikwissenschaftlichem Verständnis eine "Ästhetisierung des Politischen" einleitet, betont jedoch, dass sie "den Literatur- und Kulturwissenschaften [...] neue Arbeitsfelder eröffnet" habe.

Auch Erna Appelt und Margret Friedrich nähern sich Butler in ihren Aufsätzen "Geschlecht als Machtkonfiguration" und "Konstruktion - Rekonstruktion - Dekonstruktion" differenzierter als Hauser. Butler habe, so Appelt, den feministischen Diskurs "zweifellos radikalisiert". Allerdings müsse ihr entgegengehalten werden, dass ein "maßgeblicher Teil" der feministisch orientierten Sozialwissenschaft Gender und Heterosexualität nicht als ontologische Kategorien begreife, da sozialwissenschaftliche TheoretikerInnen ihre Kategorien prinzipiell nicht als ontologisch verstünden. Insofern scheint Appelt Butlers Theorien so radikal gar nicht zu finden. Friedrich moniert hingegen, dass "mit Dekonstruktion" alleine "die Welt noch nicht verändert" werde. Sie schaffe "mit der Entlarvung verschiedenster Beziehungen als (geschlechtsspezifischer) Machtbeziehungen nur die Grundlage dazu". Man fühlt sich sogleich an Marxens prominente These erinnert, dergemäß die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert hätten, es käme aber darauf an, sie zu verändern. Sah der Materialist Marx nicht, dass die Welt bereits durch ihre Neuinterpretation verändert wird, so unterschätzt Friedrich die Veränderung die sie durch die Dekonstruktion erfährt.


Titelbild

Sieglinde Klettenhammer / Elfriede Pöder (Hg.): Das Geschlecht, das sich (un)eins ist? Frauenforschung und Geschlechtergeschichte in den Kulturwissenshaften.
Studien Verlag, Innsbruck/Wien/München 2001.
360 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-10: 3706513498

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