Ein Büchnerpreis macht noch keinen Lacher

Über Christian Maintz' Sammlung komischer deutschsprachiger Gedichte des 20. Jahrhunderts

Von Klaus Cäsar ZehrerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Cäsar Zehrer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Schizophrenie hat Tradition: Seit Generationen lesen und lieben die Deutschen die Gedichte von Busch und Morgenstern, Ringelnatz und Valentin, Tucholsky und Kästner; zugleich hält sich hartnäckig die Klage, das Komische sei der Deutschen, der deutschen Lyrik zumal, Sache nicht. Dem hält Christian Maintz knapp 150 Seiten mit komischen Gedichten von 50 Autoren sowie ein instruktives Nachwort entgegen, "denn es gibt sie durchaus: Verse deutscher Zunge, die Lachen auslösen statt Beklemmung, Erhellung leisten statt Verdüsterung, Prägnanz bieten statt Verrätselung". Die Verteidigungsschrift samt reichlich Beweismaterial liegt also vor - kann sie die deutschsprachige Lyrik des 20. Jahrhunderts vom Verdacht der Ernsttümelei entlasten? Eine Frage, die zunächst einmal dem Herausgeber Maintz selbst gilt: Wie gelungen ist seine Auswahl?

Nun ja, etwas auszusetzen findet man an jeder Anthologie, auch an dieser: Na, von Ernst Jandl und von Heinz Erhardt kenne ich aber Witzigeres! Nichts gegen Ror Wolf und Peter Rühmkorf, aber mit zwölf bzw. elf Seiten sind die doch ein klein wenig überrepräsentiert! Schade, dass Loriots zu Recht berühmtes Adventsgedicht und die viel zu wenig berühmte "Wurst des Verderbens" von Berthold Bell nicht dabei sind! Alles in allem ist der Querschnitt aber brauchbar. Brauchbar wozu? Fürs Amüsemang etwa? Das wird sich gleich erweisen müssen. Auf jeden Fall aber für die Literaturkritik. Und die ist bekanntlich nicht fürs Vergnügen da, sondern für Vergleiche und Abwägungen. Lasst uns folglich vergleichen und abwägen - oder halt, erst noch etwas anderes: die Illustrationen.

Da haben wir nun also ein halbwegs edles Buch, sauber gebunden, schönes Papier, ansehnlich gesetzt, und dann wird es vollgemalt von einer gewissen Cornelia von Seidlein, die erstens zeichnet wie eine Siebtklässlerin und zweitens nichts weiter tut als den Inhalt der Gedichte plan und unoriginell abzubilden: Lingg bedichtet ein Krokodil im Teich - Seidlein zeichnet ein Krokodil im Teich; Erich Mühsam dichtet, wie er eine Frau bekniet - Seidlein zeichnet einen Mann, der eine Frau bekniet. Und so fort. Wozu soll das gut sein? Als Hilfe für Analphabeten?

So, nun aber zu den Vergleichen. In der ersten Paarung lassen wir die beiden Jahrhunderthälften gegeneinander antreten. Da will es unsere literaturgeschichtliche Erziehung, die Klassiker höher zu schätzen als die zeitgenössischen Autoren. Ohne Berechtigung, wie das Buch beweist, ging es doch bei den Tabubrechern von Anno Tobak noch reichlich betulich zu:

Es war einmal ein Bäcker,
Der prunkte mit einem Wanst,
Wie du ihn kühner und kecker
Dir schwerlich träumen kannst.
Er hat zum Weibe genommen
Ein würdiges Gegenstück;
Sie konnten beisammen nicht kommen,
Sie waren viel zu dick.

So heißt es bei Wedekind, und kein Freigeist wird sich nach Zeiten zurücksehnen, da derlei Neckereien noch für anzüglich, gewagt, jenseits des guten Geschmacks galten und deshalb lachen machten. Direkter, schneller und dreister, kurz: komischer reimt da schon Joachim Ringelnatz:

Bunt stimmt viel froher
Als beispielsweise Grau.
Aber viel sowiesoer
Reizt der Busen der Frau.

Der mir bis dato unbekannte Markus Werner, Jahrgang 1944, braucht nur noch ganze zwei Zeilen, um dasselbe Sujet abzuhandeln:

Umstritten ist der Ausdruck "Titten",
Die Titten selbst sind wohlgelitten.

Erstes Ergebnis: Es gibt einen Fortschritt, zumindest im komischen Gedicht. Er macht sich in einer Tempobeschleunigung bemerkbar, und von außen wird er begünstigt durch die Liberalisierung der Gesellschaft, die unbefangeneres Reden erlaubt.

Wir setzen eine zweite Partie an: Dichter versus Komikproduzenten. Die Ersteren "kommen vom Gedicht her" und versuchen sich zur Abwechslung auch mal auf witzig. - Nanu, Herr Celan, Sie hier? Na, dann lassen Sie mal hören:

In der R-Mitage,
da hängt ein blauer Page.
Da hängt er, im Lasso:
er stammt von Pik-As(so?)
Wer hängt ihn ab?
Das Papperlapapp.
Wo tut es -

Danke, Herr Celan, das genügt. Wenn Sie sich nicht klar ausdrücken können, lassen Sie die Finger vom Komischen und probieren irgendwas mit schwarzer Milch, vielleicht bringen Sie ja wenigstens jemand ins Grübeln. Und nun - der Herr Brecht, bitte!

Es war einmal ein Kamel
Das sah in Posemuckel
Einen Mann mit einem Buckel
Es blickt auf ihn scheel
Und sagte: Nebenbei
Ich habe zwei.

Fertig? Wenn man nicht wüsste, dass es ein echter Brecht ist, fände man's glatt daneben. O Gott, jetzt kommt auch noch der Fried Erich. Der und komisch? Das kann was werden!

Der Hauptberuf der Schnabelsau
ist daß sie reimt auf Kabeljau
Doch wenn sie ihren Zensch entschleimt
bleibt selbst der Mensch nicht ungereimt

Herr Fried, was ist denn nur in Sie gefahren? Schnabelsau! Das ist ja gar nicht übel! Gar nicht übel! Nur eins stimmt nicht: Der Zensch ist auf der dritten Hebung und der Mensch auf der zweiten. So etwas wie "... dann wird zugleich der Mensch bereimt" wäre besser gewesen. Aber das hätten Sie auch noch hingekriegt, wenn Sie bloß nicht Ihre Zeit damit vergeudet hätten, mir zu erklären, dass Sichliebhaben besser ist als Sichtothauen. Doch hören wir nun die andere Seite, also diejenigen, die ist erster Linie komisch sein wollen und dafür auch oder ausschließlich das Gedicht nutzen. Wer macht den Anfang? Aber gern, Herr Morgenstern:

Am Morgen spricht die Magd ganz wild:
"Ich hab heut nacht ein Kind gestillt -

ein Kind mit einem Käs als Kopf -
und einem Horn am Hinterschopf!

Das Horn, o denkt euch, war aus Salz
und ging zu essen, und dann -" "Halt's -

halt's Maul!" so spricht die Frau, "und geh
an deinen Dienst, Zä-zi-li-e!"

Ja, das ist schon was ganz anderes als der blaue Page in der R-Mitage und das Kamel in Posemuckel, das ist nämlich komisch, besonders die gänzlich humorlose Replik der Frau, die die ungestüme Phantasie der Magd knochentrocken aufprallen lässt. Chapeau! Noch jemand? Ein Jüngerer vielleicht? Ah, Robert Gernhardt!

Ich weiß nicht, was ich bin.
Ich schreibe das gleich hin.
Da hab'n wir den Salat:
Ich bin ein Literat.

Sauber. Und Ihr Freund F. W. Bernstein braucht auch nur 4 Zeilen für 1 Ernüchterung:

Horch - ein Schrank geht durch die Nacht,
voll mit nassen Hemden...
den hab ich mir ausgedacht,
um Euch zu befremden.

Schön, wir haben das zweite Ergebnis: Wer auf Komik aus ist, findet auch den passenden Vers, aber wem das Dichterwort zu Gebote steht, hat noch lange nicht die Lacher auf seiner Seite. Deshalb geht die Partie mit 3:1 klar an die Komikproduzenten, Ruhm und Ansehen aber bleiben bei den Dichtern. So ungerecht ist das Geschäft.

Zwischenrunde: Die bildenden Künstler melden sich zu Wort. George Grosz fängt an:

Zwei Maler in dem Altersheim
Laengst von der Welt vergessen
Die taten nur noch - welch ein crime
Von den Paletten essen [...]

Heh, wullewumms, juchhei...

Ein so schlechtes Künstlergedicht, mochte sich Horst Janssen da gedacht haben, kriege ich auch noch hin, und holperte los:

Der Caspar David Friederich
Das war ein schlimmer Nutzerich
Er riß den Bäumen rund ums Haus
Die Lindelblätter einzeln aus.
Zu gerne malte er sie kahl
Kahl malt' er sie wohl hundertmal. [...]

Schon haben wir unser drittes Ergebnis: Das hat unser Herrgott mit Bedacht so eingerichtet, dass Zeichner für gewöhnlich zeichnen und nicht dichten. Denen ist es bei Strafe der Blamage verboten, den weisen Schöpfungsplan schändlich zu missachten. Es sei denn, sie können so souverän albern wie Kurt Schwitters, der ja ganz zu Unrecht vor allem unter "Bildende Künstler" geführt wird. Denn was sind mit Müll beklebte Leinwände schon gegen das grandiose "Kleine Gedicht für große Stotterer":

Ein Fischge, Fisch, ein Fefefefefischgerippe
Lag auf der auf, lag auf der auf der Klippe.
Wie kam es, kam, wie kam, wie kam es
Dahin, dahin, dahin?

Das erfährt man in den folgenden drei, vollends aus der Kurve getragenen Strophen, die wir uns aber nicht mehr anhören wollen, sondern lieber eine letzte Spielpaarung ansetzen: Prominenz gegen Nobodies. Ein ungleicher Kampf. Auf der einen Seite läuft ein echtes Starensemble auf: H. C. Artmann, Ernst Jandl, Helmut Heißenbüttel, drei Büchnerpreise in einem Team, was kann da schon schiefgehen? Mit A geht's los:

ein männlein steht am schalter
so gar nicht stumm
und sagt zu dem beamten:
sei bloß nicht dumm,
gib die schönen piepen her,
glaube mirs, die freun mich sehr,
und drückste auf die klingel,
leg ich dir um.

Da lacht die ganze Grundschule. Noch weniger Mühe gibt sich Jandl:

feeling
rohling
darling
frühling

Sind in Österreich die Großbuchstaben ausgegangen? Ich kann mir zur Not vorstellen, dass dergleichen dürre Sprachspielereien dermaleinst als avantgardistisch empfunden worden sind, aber komisch -? Heißenbüttel macht mehr Worte, doch auch bei ihm bleibt der Ertrag dürftig:

Mirakel
ein glatter zarter
ganz unbehaarter
und runder weißer
halb kalt halb heißer
herabgebeugter
ein wenig feuchter

Das geht noch sechzehn quälende Zeilen lang so zu, bis endlich:

ein ganz normaler
und schön ovaler
entzückend banaler
Neandertaler

Uff. So blutleer, so weltfern, so gespreizt, so artifiziell und doch unerheblich geht's zu, wenn da einer fürs germanistische Seminar dichtet. Und so klingt es, wenn sich einer, fernab aller Literaturpreisaussichten, was frisch von der Leber weg zusammenreimt:

Laß du doch das Klavier in Ruhe;
Das hat dir nichts getan;
Nimm lieber deine Gummischuhe
Und bring mich an die Bahn.

Das ist der Auftakt des Gedichts "Abschied", das einzige, was wenigstens in engeren Fachkreisen noch an einen gewissen Dr. phil. Konrad Weichberger gemahnt. Als Student hat er die Verse vor rund hundert Jahren geschrieben, und sie wären auch wohl längst vergessen, hätte sich nicht Kurt Tucholsky höchstpersönlich mehrfach ins Zeug gelegt, sein "allerliebstes Lieblingsgedicht" zu preisen: "Wenn in diesen Zeilen nun auch noch etwas drinstände, wäre es ein unsterbliches Gedicht..." Was er nur hat? Es steht doch ein ganzer Roman drin in diesen Zeilen, und deshalb ist es, wie alle große Komik, unsterblich.

Was hat uns nun die ganze Vergleicherei eingebracht? Fassen wir zusammen: Nicht alles, was in einer Anthologie komischer Lyrik steht, ist auch komisch. Komisch sind vor allem Gedichte jüngeren Datums, geschrieben von wenig renommierten Autoren, die sich auf Komik spezialisiert haben und die nicht von Hauptberuf Zeichner sind. Ich sehe, ich habe noch alle Chancen.

Titelbild

Christian Maintz (Hg.): "Lieber Gott, Du bist der Boß, Amen! Dein Rhinozeros.". Komische deutschsprachige Gedichte des 20.Jahrhunderts. Mit Zeichnungen von Cornelia von Seidlein.
Sanssouci Verlag, Zürich 2000.
176 Seiten, 12,80 EUR.
ISBN-10: 3725411735

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