Der Sänger der Verzweiflung und der Sehnsucht

Michel Houellebecqs Gedichtband "Der Sinn des Kampfes" und die Popmusik

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Poesie ist das natürlichste Mittel, um die reine Intuition eines Augenblicks zu vermitteln. Es gibt wirklich einen Kern reiner Intuition, der sich direkt in Bilder oder Wörter übertragen läßt. Solange man bei der Poesie bleibt, bleibt man bei der Wahrheit."

Poesie ist nach Michel Houellebecq Wahrheit und Authentizität, wie seine Stellungnahme in einem Gespräch mit Jean-Yves Jouannais und Christophe Duchâtelet bezeugt. Dieser Glaube ist die Basis des unironischen Antikapitalismus, der in den deutschen Feuilletons um Houellebecq, seinen Freund Frédéric Beigbeder, der in "39,90" die Menschenverachtung der Werbefirma Young & Rubicam literarisch verarbeitete, oder Naomi Kleins Streitschrift "No Logo" ausgemacht wurde. Es gilt wieder, eine Wahrheit zu suchen, die dem gleichgültig selbstbezogenen Geplauder der Welt einen Widerstand entgegenzusetzen vermag. Nach Houellebecqs erstem Gedichtband "Suche nach Glück" hat der Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel nun den zweiten vorgelegt: "Der Sinn des Kampfes", wiederum zweisprachig, der in Frankreich bereits 1996 unter dem Titel "Le sens du combat" erschienen war. Der Titel trägt in sich die Hoffnung auf einen möglichen Sieg, die Gedichte vermitteln allzu oft die Niederlage, gleich welcher Art.

Der Text "Les Anecdotes" umfasst programmatisch die Pole, zwischen denen Houellebecqs Lyrik sich bewegt. Nicht das Formexperiment ist von Interesse - auch wenn viele Gedichte im französischen Alexandriner streng gereimt sind, wird die Form in Prosapassagen oft gesprengt -, allein der Versuch einer wichtigen Mitteilung, das Bedürfnis nach einer geeigneten Ausdrucksweise teilt sich mit. Ein lyrisches Ich wird konstruiert, dem in seiner Offenheit und Direktheit das Pathos und die damit einhergehende Angreifbarkeit nicht fremd ist. Es geht um die Position eines Individuums, "allermeist ein zugleich grausames und / jämmerliches kleines Tier", in der Gesellschaft, einer Gemeinschaft, die auseinander bricht, obwohl die Ähnlichkeit der Menschenwesen untereinander nicht zu verleugnen ist. "Wozu da neue Anekdoten leiern? [...] Es gibt keine erbaulichen Toten mehr; die Sonne fehlt. Wir benötigen unveröffentlichte Metaphern; etwas Religiöses, das auch die Existenz von Tiefgaragen umfasst. Natürlich erkennt man, dass das unmöglich ist. Unmöglich sind übrigens viele Dinge. Die Individualität ist zutiefst gescheitert. Die Ich-Empfindung: eine Maschine zur Herstellung des Gefühls vom Scheitern." Die Unmöglichkeit der Utopie ist zwar erkannt, doch muss dennoch jemand von diesem Dilemma berichten. Was sich einstellt, ist die "Faszination der Reglosigkeit", wie der Autor es einmal nannte, die von Anthropologie und Gesellschaftssystemen bestimmt wird: "Ich verreise nicht mehr wirklich / Denn ich kenne den Ort", heißt es in "Im Dienst des Blutes", "An meinen Tisch gefesselt, / Sitze ich im Hochhaus, / Die gemächliche Intensität / Der unerbittlichen Nacht." Die Realität scheint das lyrische Ich zu bedrängen. Dessen Beobachtungen sind klar und kalt, wenn es z.B. die Effizienz eines TGV mit der Vereinsamung seiner Insassen konfrontiert; trotzdem gibt es seinen Widerstand nicht auf, der sich etwa als "Letztes Bollwerk gegen den Liberalismus" politisch und parteilich als "Wir" definiert. Dieses Gedicht ist ein Pamphlet gegen die Vermarktung des Individuums, die nicht hingenommen werden kann. Jedes menschliche Vorhaben werde nur noch "unter rein ökonomischen Kriterien / beurteilt [...] / Unter ausschließlich numerischen Kriterien, / Auf Datenträger speicherbar." In der Folge wird das Erwürgen eines halben Dutzends Wirtschaftsberater zur hygienischen Maßnahme, hier freilich eine spontane Gewaltphantasie des Ichs.

Als Alternative wird ein diffuses, aus kommunistischen wie religiösen Elementen zusammengesetztes Gemeinschaftsbild angeboten, das allerdings als vergangen und archaisch angesehen wird: "Früher, aber sehr viel früher, hat es Wesen gegeben / Die sich im Kreise aufbauten, um den Wölfen zu wehren / Und einander zu wärmen; sie mussten verschwinden, / Sie waren uns ähnlich." Die deutliche Gegenüberstellung von "être" und "disparaître" bzw. "loups" und "nous" im Original ließ sich dabei leider nicht ins Deutsche übertragen. Einer Vorgeschichte der Menschheit korrespondiert die Unschuld der kindlichen Entwicklung. Doch auch diesem Ideal geht die Unschuld der objektiven Aufmerksamkeit und Neugier verloren: Die Kindheit endet an einem Samstagabend, der Kampf der Geschlechter beginnt.

Kaum war Michel Houellebecq auch in Deutschland mit seinem Roman "Elementarteilchen" schlagartig bekannt geworden, präsentierte er dem begeisterten Publikum zahlreiche weitere Facetten seines Schaffens, wobei er es ganz marktstrategisch auf eine Stilisierung als melancholischer Sexmaniac und enfant terrible der französischen Literaturszene anlegte. Er gab bereitwillig Auskunft über die Vorteile des Swinger-Clubs, sollte einen erotischen Kurzfilm für Canal Plus drehen, in dem seine Frau Marie-Pierre eine Rolle spielen sollte - er hat ihr in "Der Sinn des Kampfes" ein Gedicht gewidmet -, spekulierte über das Wesen des Sex im 21. Jahrhundert und schließlich ließ er sich von seinem Freund Bertrand Burgalat überreden, seine Gedichte zu vertonen und mit ihm auf Tour zu gehen. Burgalat, 37 Jahre alt, der sich vor allem als Produzent und Arrangeur etwa für die Einstürzenden Neubauten, Mick Harvey und Nick Cave einen Namen gemacht hat, dessen Remixe (z.B. von Depeche Mode, Air oder Pizzicato 5) sich ebenfalls in der Club-Szene großer Beliebtheit erfreuen, hatte in Houellebecqs Lyrik eine musikalische Herausforderung gefunden. Das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit hieß im letzten Jahr "Présence humaine" (erschienen auf Burgalats eigenem Label Tricatel) und umfasste zehn zumeist von Burgalat komponierte und produzierte Stücke. Die Texte stammen aus verschiedenen Gedichtbänden Houellebecqs. Der Autor skandiert auf dem Album seine Verse, rau und bestimmt, während die Musik seinen Texten ausreichend Raum gibt, um zu wirken. Burgalat gelingt es, das Beiläufige des Easy Listening mit der Kraft und dem Hitpotential des Rock, so vor allem im einleitenden Titelstück, zu einer modernen, weniger kunstgewerblichen Interpretation des Chanson zu verbinden. In den richtigen Momenten wird die Emphase Houellebecqs durch die Musik noch trotzig verstärkt, während sie andererseits einen Vers auch für sich allein stehen lassen kann, geduldig im Stillen verharrend, und ihm derart Nachdruck verleiht.

Eine, wenn auch kurze Fortsetzung fand diese Koproduktion übrigens im April diesen Jahres: Burgalats erstes Soloalbum mit dem Titel "The Sssound of Mmmusic" erschien in Deutschland, ein sommerlich-abgründiges Werk, auf dem der Multiinstrumentalist zum ersten Mal selbst singt. Aufwendige Kompositionen, die an Vorbilder wie Kraftwerk, Soft Machine oder Pierre Henry erinnern, werden durchzogen von einem schüchternen Gesang. Auch wenn diese Namen eher respekteinflößend wirken können, ist das Album dennoch auffallend unprätentiös. Ko-Autor des Stückes "GRIS MÉTAL" ist Michel Houellebecq, der durch die Vertonung von Gedichten offenbar auf den Geschmack der Pop-Musik gekommen ist. Sein dichterisches Talent geht hier ganz in der Musik Burgalats und dessen Stimme auf, die trügerisch-süß den Ernst der Dichtung in den Hintergrund treten lässt. Man darf gespannt sein, ob für Houellebecq diese neuartige Zusammenarbeit Folgen für die Zukunft haben wird. Dem Romanisten sei geraten, mehr Musik zu hören.


Titelbild

Michel Houellebecq: Der Sinn des Kampfes. Gedichte.
Übersetzt aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
230 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3770153588

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