Ein russisches Genie

Dem Dichter Puschkin zum 200. Geburtstag

Von Sonja SakolowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sonja Sakolowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 27. Januar 1837 ist ein trauriges Datum für Rußland und die Welt, denn sie verloren an diesem Tag einen ihrer größten Dichter: Alexander Sergejewitsch Puschkin erhielt in einem Duell mit dem vermeintlichen Geliebten seiner Frau Natalja eine Schußverletzung, der er wenige Tage darauf erlag. Puschkin starb 37jährig, als angesehener Dichter, dessen Werk heute zur Weltliteratur zählt. Er wird in Rußland mit einer Inbrunst verehrt, die man durchaus als Liebe bezeichnen kann, der man jedoch leider in anderen Ländern nicht oder kaum begegnet. Da Lyrik im allgemeinen und Puschkins Poeme im besonderen als schwer oder gar nicht zu übersetzen gelten, kann man durchaus nachvollziehen, warum der Dichter außerhalb der russischsprachigen Länder so wenig gelesen und folglich so wenig geliebt wird. Und wie so oft muß sich erst ein runder Geburts- oder Todestag ankündigen, damit einem Dichter die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil werden kann.

In Puschkins Fall ist es ein Jubelfest: Am 6. Juni jährte sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Die Verlage haben ihm (und uns) ein schönes Geschenk in Form der neuerschienenen Prosa- und Gedichtbände, Anthologien und Biographien beschert. Rolf-Dietrich Keil führt mit seiner Biographie den Puschkin-Anfänger in dessen Leben und Werk ein und weiß als ausgewiesener Experte auch den Puschkin-Kenner noch mit Neuem zu überraschen. Man erfährt von dem Vorfahren des Dichters, auf den er besonders stolz war: der Mohr Hannibal (oder, in russischer Aussprache: "Gannibal"), den Peter der Große für seinen Hof aus Afrika mitbrachte. Von Puschkins ersten poetischen Versuchen sowie seinem großen Roman in Versen "Jewgeni Onegin" weiß der Autor genauso zu berichten wie von der Verbannung des Dichters in den Süden des Russischen Reichs und seiner Verwicklung in den Dekabristenaufstand, die er beinahe mit dem Tod bezahlen mußte. Auch wenn der etwas steifleinene Stil des Autors manchmal hervorbricht, so stört das nur wenig die Faszination, die Puschkins tragisch-poetisches Leben ausübt. Keil benutzt in seinem Buch nicht die eigenen Übertragungen (die oft gelobt worden sind), sondern die hervorragenden Übersetzungen Michael Engelhards.

Von Michael Engelhard ist (ebenfalls bei Insel) eine Sammlung von Puschkins erotischen Gedichten herausgegeben worden, die nicht zuletzt durch die Eleganz und Qualität seiner Übertragung bestechen. Es ist gelungen, Puschkins teils grobe, obszöne, teils zart-frivole erotische Epigramme und Balladen und ihre subtilen Doppeldeutigkeiten so ins Deutsche hinüberzuretten, daß man glauben könnte, sie im Original zu lesen: "Christ ist erstanden! und da müssen / Wir zwei, Rebekka, uns vermehrt, / Wie es der Gottmensch einst gelehrt, / Mein süßer Engel, liebend küssen. / Doch morgen schon, weil du es bist, / Ist Moses mein Evangelist: / Dann wird nach seiner Lehr geküßt - / Ich werde dir sogar das reichen, / Worin ein orthodoxer Christ / Und ein Hebräer sich nicht gleichen."

Daß Puschkins Blätter mit erotischem Inhalt in den Petersburger Salons begehrt waren und unter der Hand weitergereicht wurden, erstaunt nicht bei seiner Art, geschickt die Pointen zu setzen und auch oft Verse auf Damen der Gesellschaft zu machen, wie zum Beispiel für Aglaja Antonowna Dawydowa: "Wer hat Aglaja nicht besessen? / Der, weil ihr die Montur gefällt, / Oder sein Bart - oder sein Geld - / Weil er Franzos - Kleon indessen / Besaß sie, weil er sehr gewitzt - / Und Damis kann die Geige streichen. / Nun sag mir nur, mein Schatz Aglajchen, / Warum dein Gatte dich besitzt?"

So sehr man Michael Engelhard für seine kongeniale Übersetzung und Edition dieses schwer zugänglichen Teils der Puschkinschen Kunst loben muß, ist es trotzdem zu bedauern, daß dem deutschsprachigen Lesepublikum das Werk des Dichters stets nur in Anthologien oder Auswahlen präsentiert wird. Der Aufbau-Verlag hat sich immerhin an eine kleine Werkausgabe herangetraut, die natürlich nicht die ganze Bandbreite Puschkinscher Dichtkunst präsentieren kann, aber doch die wichtigsten und schönsten Dichtungen. Drei ansprechend gestaltete Bände in einer Kassette beinhalten die Poeme (z.B. "Ruslan und Ludmilla"), die Novellen (darunter "Pique-Dame" und "Die Hauptmannstochter") und die Dramen ("Boris Godunow") in Übertragungen verschiedener Übersetzer. Leider fehlen unverständlicherweise die Gedichte, auf die man in Einzelausgaben zurückgreifen muß. Immerhin ein Schritt in die richtige Richtung. Vielleicht folgt bald eine Gesamtausgabe nach.

In einem Gedicht Puschkins äußert ein Buchhändler gegenüber dem Dichter folgende Bedenken: "Je nun, der Ruhm ersetzte Euch / Das stille Glück im Idealen; / Ihr seid bekannt, an Ehren reich, / Derweil sich hier in Staubregalen / Zu Haufen Vers und Prosa staut / Und ganz umsonst nach Lesern schaut, / Davon die meisten schlecht bezahlen." Das braucht man in diesem Puschkin-Jubiläumsjahr angesichts der Qualität der Neuerscheinungen und des Genies des Dichters wahrhaftig nicht zu fürchten.

Titelbild

Alexander S. Puschkin: Ausgewählte Werke. 3 Bände.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999.
1440 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3746660408

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alexander S. Puschkin: Erotische Gedichte. Ausgew. u. aus d. Russ. v. Michael Engelhard.
Insel Verlag, Frankfurt 1999.
100 Seiten, 6,50 EUR.
ISBN-10: 3458342265

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Titelbild

Rolf-Dietrich Keil: Puschkin Ein Dichterleben.
Insel Verlag, Frankfurt 1999.
400 Seiten, 28,60 EUR.
ISBN-10: 3458169571

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