Am Rande der Zeitnaht

Henning Ahrens schreibt Zeitkritik in Bildern

Von Franziska EngelhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franziska Engelhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ging nicht // um Taten (man las ja nur), sondern / ums Schlafen mit offenen Augen", fasst Henning Ahrens die Jahre voller jugendlicher Ideale und erlaubter Träume zusammen. "Jahre / aus Schildpatt. Und unter der Schale / ein Körper aus Kalbsfilet", eine Zeit, die geprägt ist von Freiheit, Kraft und Sensibilität zugleich. Und dennoch das Schweigen, die Verantwortungsverweigerung, die Tatenlosigkeit.

Henning Ahrens, 1964 geboren, lebt als Schriftsteller in Kiel. Für sein lyrisches Debüt "Lieblied was kommt" (1998) erhielt er einen der Wolfgang-Weyrauch-Förderpreise beim Literarischen März 1999, sowie den Pro-Litteris-Preis 1999 der Märkischen Kulturkonferenz. In diesem Jahr wurde ihm der Hebbel-Preis verliehen.

In seinem zweiten Gedichtband "Stoppelbrand" malt der Lyriker Bilder, die von der Zerstörung der Natur berichten, das Vorrücken der Neubaugebiete dokumentieren, vom Bezwingen der Landschaft mit Hilfe der Technik erzählen. Neben dieser Art Landschaftsmalerei entdeckt man in den acht Gedichtzyklen die Ignoranz, mit der die Menschen der Zerstörung begegnen.

Ahrens' Balladen sind Geschichten, die von den Veränderungen unserer Umwelt erzählen:

Karte an der Wand: schmales Band
eines Flusses, gekreuzt vom Kanal
und von Autobahn. Wald

hier und da. Doch man sagt,
daß es Grassteppe war
einst und fruchtbar. So flach

wie die Hand, die sich ausstreckt und nichts
offenbart als den Schmutz,
der in Falten sitzt. Und die sich ballt,

wenn sie zupackt, nach Grabstock greift,
Holzpflug und Schaltknüppel. Fahrt
eines Treckers auf Feldwegen - blank

ist das Land und wie abgewischt. Nichts
mehr zu sehen von Heer, Troß und Rauch,
der aus brennenden Dörfern quoll,

Wolfsrudeln, die sich des Nachts
zum Gehöft schlichen, Pest,
Marodeuren und Galgenstrick. Untergepflügt

sind die Wüstungen, Grabplatten stehn
an der Kirchenwand, wappengeschmückt
und unleserlich. Was einmal war,

wird planiert, überbaut
mit Gelassen für Einzelhaft, glatt
gemacht. Nach einem Plan,

der uns unklar bleibt. Lacht
einer? Dummdreiste Zuversicht.
Über das Dorf rollt ein lautloser Donner.

Mit dem Schwamm des Vergessens tilgen die Menschen die Spuren der Vergangenheit und begeben sich freiwillig in "Einzelhaft". Gefangen im Individualismus entgeht uns das lautlose Donnergrollen.

Henning Ahrens macht den Leser auf Probleme aufmerksam, ohne dabei arrogant zu wirken. Er tritt nicht als Prophet, sondern eher als Regisseur auf, indem er Bilder entwirft und aneinander reiht, die die Realität widerspiegeln. Die schnellen Bilderfolgen vermitteln den Wettlauf mit der Zeit, die Rastlosigkeit und Hast in der der Ruhepol der Natur fehlt. Die Menschen sind, gefangen in Kreisläufen und Konventionen, "am Rande der Zeitnaht" angelangt.

Henning Ahrens' Gedichte offenbaren trotz ihrer Thematik Sprachfreude und Sinnlichkeit. ,Refrains' und Wiederholungen, Wortspiele und Poesie laden zum Rezitieren ein. Ahrens' Lyrik will vorgetragen werden, am liebsten vom Dichter selbst. Dem besseren Verständnis käme dies sicher zugute.

Titelbild

Henning Ahrens: Stoppelbrand.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2000.
112 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3421053804

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