Hochverehrter Herr Doktor - Liebes Fräulein

Der Briefwechsel zwischen Thomas Mann und Käte Hamburger 1932-1955

Von Daniel LinkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Linke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist gewiss richtig: der 'Doktor Faustus' 'liegt' mir weniger als Ihr gesamtes bisheriges Werk." Mit dieser Stellungnahme hatte die Literaturwissenschaftlerin Käte Hamburger erstmals gewagt, einen Roman von Thomas Mann negativ zu beurteilen, und plötzlich geriet das sensible Geflecht des Briefwechsel für einige Zeit aus der Balance. Thomas Mann, freilich nur in mangelhafter Kenntnis der in Schweden veröffentlichten Besprechung, reagierte verärgert. An die gemeinsame Bekannte Ida Herz schrieb er, wohlwissend um die indiskrete Weitergabe seiner Empörung, daß die Hamburger über den Roman das "Stumpfste, Dümmste und Versperrteste" geschrieben habe, was ihm "vor Augen gekommen" sei. Harte Worte von denen sich Käte Hamburger getroffen, aber keinesfalls eingeschüchtert zeigte. Um der Harmonie willen klein beizugeben und ihre Meinung zu ändern, kam ihr nicht in den Sinn. Statt dessen schickte die Couragierte ihre genauere Übersetzung des Artikels, und schon sah sich Mann genötigt, seine harsche Kritik zu mildern; der Tenor seines Unmuts blieb dennoch erhalten, denn "kalt" sei schließlich ihr Bericht - und das kränkte.

Hamburger antwortete ausführlich und räumte Schwächen in ihrem Urteil ein, die teilweise durch ein enttäuschend verlaufenes Treffen der beiden in Zürich motiviert waren, bei dem sie sich von Thomas Mann wie eine "flüchtige Reisebekanntschaft" behandelt fühlte. Ihre grundlegende Skepsis dem "Doktor Faustus" gegenüber bewahrte sie sich; die Figur Zeitbloms scheint ihr nun nach den Ausführungen Manns zwar verständlich und aus erzähltechnischer Perspektive notwendig, doch mit der musikgeschichtlichen Ebene des Romans haderte sie weiterhin: "Es mag sein, daß mir, leider, Musik nicht so viel bedeutet und die Entwicklung und Situation der Musik mir darum kein unmittelbar zugängliches und nachzuerlebendes Symbol für die Auflösung der Kunst, der Kultur, der humanistischen Wertewelt, der zwischenmenschlichen Beziehungen, für die existentielle Verlorenheit und Einsamkeit des Menschen ist, die, Resultat des Sinnverlustes unserer Epoche, durch den Bestialismus des Nazismus geschichtlich geworden." Das Urteil mußte Thomas Mann treffen, stellte es doch das Gesamtkonstrukt des Romans in Frage.

Die drei Briefe, die die Auseinandersetzung mit der Kritik am "Doktor Faustus" dokumentieren, bilden den Höhepunkt einer Korrespondenz, die bis dahin von weitgehendem geistigen Einverständnis geprägt war; Fragen nach dem Gelingen der jeweiligen Arbeitsprojekte gehörten ebenso zum Austauschrepertoire dazu wie die gelegentliche Schilderung der Lebenssituation im Exil und die knappe Erörterung der politischen Situation im faschistischen Deutschland. Eines stand aber immer im Mittelpunkt: Thomas Manns Werk, besonders die Josephs-Tetralogie.

Doch Hamburgers Kritik stellte Thomas Manns Nützlichkeitsdenken auf eine harte Bewährungsprobe. Distanzierter Austausch waren ihm angenehm, persönliche Treffen mit den jeweiligen Briefpartnern gerieten zur Last. Käte Hamburger war bis dato eine kluge Lobrednerin seiner Josephs-Romane gewesen. Ihre Abhandlungen trugen zum Verständnis der Tiefenschichten dieses Werkes wesentlich bei. Ihr publizistisches Wirken im schwedischen Exil bereitete den Boden für Thomas Manns hohen Bekanntheitsgrad in Skandinavien. Das alles machte sie nützlich und ihn glücklich. Im Gegenzug bemühte er sich um Stipendien für die Wissenschaftlerin, die in Schweden kaum ihr Auskommen fand, schrieb ihr Gutachten und setzte sich für die Veröffentlichung ihrer Bücher in Amerika ein. Durchaus nicht uneigennützig, handelten sie doch vorwiegend von seinem Werk. Sollte das alles wegen kleiner Differenzen keinen Wert mehr haben? Denn wie schrieb Thomas Mann an Ida Herz in seiner Verärgerung: "Was fangen wir aber nun mit der armen Hamburgerin an? Man kann nicht mehr gut mit ihr Umgang haben." Doch sein Unmut verrauchte, der Kontakt blieb bestehen und noch auf dem Totenbett schrieb Mann ihr einen letzen Gruß.

Über den inhaltlichen Wert des Briefwechsels ließe sich zwar streiten, aber die Edition von Hubert Brunträger fügt sich zu einem informativen Ganzen - zusammen mit den im Anhang veröffentlichten Briefen von Thomas Mann und Käte Hamburger an die gemeinsame Bekannte Ida Herz sowie den Gutachten von Mann für Hamburger. Zudem enthüllt Brunträger mit Hilfe der Tagebuchnotizen sehr genau die doppelte Ebene, auf der Thomas Mann sich mit seinen Briefpartnern häufig bewegte. Schrieb Thomas Mann Käte Hamburger nach Empfang eines ihrer Bücher, daß es "ein Ereignis" in seinem Leben" sei, so klingt sein Urteil über das Werk im Tagebuch bedeutend negativer: "Gelesen in dem Buch der Hamburger. Spricht über den Joseph wie Rabbi's über die Thora." Nur einmal wird er verletzend deutlich, als er in einem Manuskript von ihr liest und hinsichtlich einer Übersetzung ins Englische abwägt: "Dass die vortreffliche Arbeit nun also hier auf Englisch nicht erscheinen solle, ist natuerlich beklagenswert, und doch war ich beim Lesen halb und halb auch immer froh, zu wissen, dass dies alles nicht ins Englische uebersetzt werden soll. Der Stil, so ausgesprochen deutsch geisteswissenschaftliche Sprache, eignet sich so garnicht dazu, und ich bin fast sicher, dass sich das Ganze auf Englisch [...] schwerfaellig und ueberphilosophisch ausgenommen haette." Uns kann, nach derart deutlichen Worten, sein abschließender Dank für die geistige Freundschaft und für die "praechtige Arbeit" nur verlogen vorkommen.

Titelbild

Thomas Mann / Käte Hamburger: Briefwechsel 1932 bis 1955. Herausgegeben von Hubert Brunträger.
Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1999.
201 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3465030001

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch