Aber bitte ohne Metaphysik

Elfriede Gerstls "neue wiener mischung"

Von Ingeborg GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ingeborg Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf Augenhöhe erscheinen Welt und Menschen, erscheinen vor allem auch die Wiener und Wien in den Gedichten und Prosaskizzen von Elfriede Gerstl. Jeder kann was von ihr wollen, sie ist groß im "Leutesammeln", aber sie entscheidet, wie sie schaut, immer der Grenzen ihrer dichterischen Möglichkeiten bewusst: "wenn die Transzendenz / was von mir will / ich kann mich nicht um sie kümmern." Aber um alles andere kümmert sie sich, um die Leute in den Cafés, um die Natur, ums Essen, um die Freiheit und um das Ich. Auf leisen Sohlen kommt all das zur Sprache, worum sich die Metaphysik normalerweise kümmert. Elfriede Gerstl hat den Horizont genau im Blick, aber sie wirft in ihren Gedichten immer wieder einen Ball jenseits des Horizontes und von dort bringt der seltsame Wahrheiten mit. "die zerstückelung der zeit in die biederen wochentage; jedes schulkind kann sich ihrer nun furchtlos bedienen und die masse der erwachsenen lebt gedankenlos und in dem beruhigenden gefühl, das die einteilung für die sache zu halten beginnt." Genau sein und Schritt vor Schritt setzen in der Erkundung der Wirklichkeit, das sieht sie als ihre Aufgabe an. In ihrer "neuen wiener mischung" ist es ihr perfekt geglückt. Man lächelt, man lacht, man stutzt, man kommt ins Nachdenken, und man vermisst die großen Worte nicht. Hat doch auch Elfriede Jelinek in ihrem letzten Roman erst wieder betont, dass es viele andere gibt, die die schönen Worte wunderschön beherrschen. Gerstls Grabgesang auf alles, was einen hohen Ton anschlägt, ist köstlich zu lesen und eine Fundgrube für allerlei Transzendentes, auf direkte Weise präsentiert. Österreich at its best!

Titelbild

Elfriede Gerstl: neue wiener mischung. Gedichte und anderes.
Literaturverlag Droschl, Graz 2001.
176 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3854205589

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