Weltanschauung und Vernunft

Ulrich Herbert gibt Einblicke in die "Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland"

Von Katharina IskandarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Iskandar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie gelten als Diebe, Einbrecher und Sozialschmarotzer, und angeblich nehmen sie uns sogar die Arbeitsplätze weg. Ausländer in Deutschland entkommen dem Vorurteil nicht. In gewisser Weise sind sie machtlos, denn das, was sich heute hinter dem Begriff Einwanderungsdebatte verbirgt, hat eine historische Dimension, so Ulrich Herbert, der jetzt seine "Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland" vorgelegt hat.

Herbert beschreibt in seinem Buch die verschiedenen Etappen der deutschen Ausländerpolitik: den "Leutemangel" im Kaiserreich, die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte im Ersten Weltkrieg, das nationalsozialistische Zwangsarbeitersystem, die Ausländerpolitik der Ära Kohl. Mit dieser umfangreichen Studien stellt der Historiker nach seiner viel beachteten Monographie über den NS-Funktionär Werner Best (1996) erneut seine Qualitäten als akribischer Quellenforscher unter Beweis.

Die Studie verdeutlicht, wie sich Ausländerpolitik über die Jahrzehnte entwickelt hat. Schritt für Schritt rekonstruiert Herbert die Geschichte der "Auslandspolen", der Zwangsarbeiter im Ersten und Zweiten Weltkrieg und der Gastarbeiter und Einwanderer nach 1945. Dabei weist er auf die Ambivalenz hin, die schon im Kaiserreich zwischen der deutschen Bevölkerung und Ausländern geherrscht hat: Einerseits wurden sie Anfang des 20. Jahrhunderts als billige und deshalb gern gesehene Arbeitskräfte in Landwirtschaft und Industrie angestellt, andererseits hatten sie kaum eine Chance, sich in die Gesellschaft zu integrieren, sofern sie es überhaupt wollten.

Ulrich Herbert, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg, stellt auch die Vorgeschichte aktueller Einwanderungspolitik dar. Und so ist das Buch, das auf seiner 1986 erschienenen Publikation "Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland, 1880-1980. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter" aufbaut, nicht nur ein sehr dicht gearbeiteter historischer Abriss der deutschen Ausländerpolitik, sondern auch eine Diskussionsgrundlage für die gegenwärtige Einwanderungsdebatte: "Auf der einen Seite eine furchtbare Tradition von Fremdenhaß, Rassismus und millionenfacher Zwangsarbeit - auf der anderen Seite aber leben im Jahre 2001 mehr als 8 Millionen Ausländer in Deutschland, von denen mittlerweile große Teile über einen gesicherten Rechtsstatus, Anspruch auf sozialstaatliche Leistungen und einen vergleichsweise hohen Lebensstandard verfügen", wertet er in seinem Schlusswort die Situation in Deutschland. Herbert ist sich bewusst, dass trotz eines nicht übersehbaren "Potentials radikaler Ausländerfeindlichkeit und rassistischer Gewalttätigkeit" ein "im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hohes Maß an Integration vor allem der seit langem hier lebenden Ausländer" besteht. Er stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie Denkstrukturen und Mechanismen der Abwehr entstehen und sich über lange Zeiträume hinweg halten konnten und können.

Ulrich Herbert konnte bereits in vielen Publikationen zeigen, dass er Kenner von Organisationsstrukturen ist. Seine Best-Biographie (Untertitel "Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft") bezeugt es - hier wird Bests Rolle beim Aufbau der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes dargestellt.

Eine Stärke des Historikers, der 1999 den Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhielt, ist die Distanz, mit der er seinen Gegenstand untersucht, auch dann, wenn er über Menschen schreibt, die als Zwangsarbeiter zu Tode geschunden wurden. Oder Menschen, die Teil oder Opfer einer grausamen Rassismus-Maschinerie wurden: "Nach der ersten Phase der Massenerschießungen im Sommer 1941 waren die überlebenden Juden in Arbeitskolonnen und Werkstätten zur Arbeit eingesetzt worden. Als Polizei und SS im Herbst mit der zweiten Mordwelle begannen, wurden Proteste gegen die 'Unwirtschaftlichkeit' dieser Tötungen laut [...]: 'Wird auf diese jüdische Arbeitskraft in vollem Umfang verzichtet, so ist ein wirtschaftlicher Wiederaufbau der ukrainischen Industrie sowie der Ausbau der städtischen Verwaltungszentren fast unmöglich. Es gibt nur eine Möglichkeit, die die deutsche Verwaltung im Generalgouvernement lange Zeit verkannt hat: Lösung der Judenfrage durch umfassenden Arbeitseinsatz der Juden.' "

Was Herbert interessiert, ist die Banalität des Bösen. Der Historiker fragt nach dem Verfahren: Wie waren die Bedingungen, unter denen ausländische Arbeitskräfte ins deutsche Kaiserreich gebracht wurden. Wie ging die Organisation vonstatten? Wie gehen Institutionen heute mit Asylanten und Flüchtlingen um? Herberts Untersuchungen präsentieren die Interna der Ausländerpolitik. Ein Blick, der nicht mehr nur nach den Ursachen schaut, sondern auch nach der Durchführung, den Institutionen und ihrer Organisationsformen.

Titelbild

Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
400 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3406474772

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