Verdi kontrovers

Dokumente einer wechselhaften Rezeptionsgeschichte

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der kleine Band "Über Verdi, Von Freunden und Gegnern, Musikern und Schriftstellern" ist eine der lohnendsten Neuerscheinungen des Jubiläumsjahres, denn für nur 12 DM bekommt man eine Menge Informationen zu Leben, Werk und Rezeptionsgeschichte. Allerdings sollte der Leser ein paar Vorkenntnisse mitbringen, um die Verdi-Dokumente einordnen zu können. Wem es daran mangelt, kann sich auch mit dem exzellenten Vorwort des Herausgebers Günter Engler behelfen. Dieses skizziert nicht nur die wichtigsten biographischen Fakten, sondern räumt auch mit den größten Vorurteilen auf. So sei Verdi kein Simpel vom Land gewesen, sondern ein umfassend gebildeter europäischer Intellektueller, der sich sogar an den im damaligen Italien ziemlich unbekannten Shakespeare wagte und die europäische Literatur ständig nach neuen Stoffen für seine Opern durchstöberte. Engler würdigt zudem Verdi als den Komponisten des Risorgimento und als Erneuerer des italienischen Musiktheaters.

Das Bild Verdis ist in den letzten 100 Jahren starken Veränderungen unterworfen gewesen, so Engler, und über diese informiert die Sammlung bestens. Nur der erste Teil "Zur Person" dient diesem Zweck nicht unbedingt, denn die meisten Texte von Freunden und Mitarbeitern lassen den Maestro fast durchgängig als ausgesprochen sympathische und interessante Persönlichkeit erscheinen. Im zweiten Teil wird es dann kontroverser, hier geht es um "Das Werk im Spiegel der Zeitgenossen". In diesem Teil finden sich - besonders zum Frühwerk - vorwiegend die Reaktionen der deutschsprachigen Musikkritik, die sich mehrheitlich ganz fürchterlich über Verdi, den jungen Wilden, aufregen. Da findet sich blanker Abscheu, der sich in den wüstesten Beschimpfungen Verdis und oft auch Italiens ausdrückt: charakterlos, platt, effekthascherisch, leichtsinnig, trivial, geschmacklos, roh und laut seien die Opern des Italieners.

Während italienische Kollegen wie Rossini und Donizetti ihrem Nachfolger als Herrscher über Italiens Opernbühnen durchaus positiv gesonnen sind, findet sich bei Franzosen wie Bizet und Debussy eine ambivalente Einstellung. Berlioz und Strawinsky sind dagegen mit bewundernden Äußerungen in Englers Sammlung vertreten. Die deutschen Kollegen setzten allerdings die Haltung der deutschen Musikkritik fort. Besonders die Wagnerianer taten sich mit pointierter Ablehnung hervor, aber sowohl Richard Strauss als auch Hans von Bülow änderten später ihrer Meinung. Letzterer leistete sogar in einem persönlichen Brief an Verdi Abbitte, der sich allerdings fast genauso peinlich liest wie die ursprüngliche Verdammung.

Die hysterischen Attacken der Wagnerianer gegen Verdi wurden im 20. Jahrhundert munter fortgesetzt, wie Engler im dritten Kapitel über "Ruhm und Widerspruch im 20. Jahrhundert" dokumentiert. Der Herausgeber lässt aber auch deutsche Verdi-Freunde zu Wort kommen. Wie viele Kunstkontroversen der Vergangenheit, erscheint die Inbrunst der wütenden Polemiken gegen Verdi heute ein wenig komisch, obwohl sich Anklänge daran bis in die jüngere Gegenwart finden lassen. Franz Werfel, der sich sehr für die deutsche Wiederentdeckung Verdis engagiert hatte, meinte zu den dauernden Versuchen Verdi gegen Wagner auszuspielen, man könne Verdi dann eigentlich auch vorwerfen, nicht wie Buxtehude oder Scarlatti komponiert zu haben. Neben Werfels durchaus vergnüglicher Polemik "Das Bildnis Giuseppe Verdis" (1926) findet sich auch ein Auszug aus "Verdi. Roman der Oper" (1924) in Englers Sammlung.

Neben den Dokumenten der fortdauernden Kontroverse enthält der dritte Teil auch viele Statements moderner Komponisten der Nachkriegszeit, die sich häufig positiv auf Verdi beziehen, wie z. B. von Ernst Krenek, Hermann Reutter, Hermann Sutermeister, Lennox Berkeley, Wolfgang Fortner und René Leibowitz. Zusätzlich zu diesen Stellungnahmen finden sich aber auch durchaus anspruchsvolle Auszüge aus musikwissenschaftlichen Texten im dritten Teil von "Über Verdi". Hier lässt Engler auch italienische Kritiker und Komponisten zu Wort kommen. Massimo Mila ist mit einem Beitrag über "Verdi als Politiker" vertreten, während der Komponist Luigi Dallapiccola über Verdis Verbundenheit mit dem Risorgimento reflektiert und die Volkstümlichkeit seiner Musik betont. Diesen Punkt hebt auch Luciano Berio hervor, der betont, dass Verdi für Italien von ähnlicher Bedeutung ist, wie Shakespeare für England. Am Beispiel der Oper "Rigoletto" erläutert Berio, wie Verdi einige Ideen Epischen Theaters Brechts vorwegnahm und genau wie jener das moderne Musiktheater inspiriert habe. Dies ist ein Argument, das viele Brechtianer nicht sonderlich überzeugend finden werden. Aber es zeigt, wie Englers Sammlung insgesamt, dass Verdis Werk weiterhin kontrovers und damit lebendig ist. Es taugt nicht nur zu neuen Interpretationen, sondern auch zu wahrhaft atemberaubenden Synthesen und Verfremdungen.

Titelbild

Günter Engler (Hg.): Über Verdi. Eine Anthologie.
Reclam Verlag, Stuttgart 2000.
250 Seiten, 6,10 EUR.
ISBN-10: 3150180902

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