Verdi für Theaterfreunde

Christoph Schwandts langatmige Biographie

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Christoph Schwandt konzentriert sich in seiner Biographie weniger auf Verdis Leben als auf seine Werke. Nur knapp schildert er die legendenumwobene Jugend des Komponisten; die rührenden Geschichten, die die frühen Jahre Verdis verklären, gibt er mit gebührender Vorsicht und mit der Haltung wieder: "Wenn es nicht wahr ist, dann ist es zumindest gut erfunden." Diese Legenden, die teilweise vom späten Verdi selber stammen, betrachtet er aber nicht als Selbstmythisierung, sondern als sympathisches Understatement.

Intensiv geht Schwandt auf die Libretti der frühen Opern ein, dabei beschränkt er sich nicht nur auf Nacherzählungen, sondern schildert auch die Geschichte der Stoffe, die Verdi vertont. Auch die Sänger, die in den vom Komponisten selbst geleiteten Uraufführungen seine Opern interpretierten, werden porträtiert. Selbst Projekte, die nie realisiert wurden, werden kurz vorgestellt, schließlich war der Maestro immer auf der Suche nach passenden Stoffen und vertonte mit Vorliebe die Lieblingsautoren des Risorgimento, wie Byron und Schiller; leider unterlässt es Schwandt, auf deren italienische Rezeption und Relevanz einzugehen. Dafür schildert der Autor ausführlich Verdis Arbeit für die verschiedenen Opernhäuser Italiens. Der Komponist schaffte zwar seinen Durchbruch mit "Nabucco" an der Mailänder Scala, für die er auch die Opern "Oberto" (1839), "Un giorno di regno" (1840) und "I Lombardi" (1843) komponierte, die nachfolgenden Opern aber wurden für die Opernhäuser von Venedig, Rom und Neapel komponiert. Besonders Venedigs Opernhaus La Fenice wurde für Verdi überaus wichtig, hier fand er auch seinen Lieblings-Librettisten Francesco Maria Piave berichtet Schwandt.

Waren die frühen Bühnenwerke "Ernani" (1844), "I due Foscari" (1844), "Giovanna d'Arco" (1845), "Alzira" (1845) und "Attila" (1846) Erfolgsopern, die Verdi in großer Eile komponierte, gab er sich bei seiner ersten Shakespeare-Vertonung in der Oper "Macbeth" (1847) große Mühe. Der Stoff stellte eine besondere Herausforderung dar, denn er enthält keine Liebesgeschichte und die weibliche "Heldin" Lady Macbeth ist ziemlich unsympathisch. Verdi meisterte die Herausforderung, "Macbeth" machte ihn weltberühmt. Die Oper ist ein Beispiel intensiven Musiktheaters, so Schwandt, das sich bei der Uraufführung in Florenz hochmoderner Mittel, wie Laterna Magica-Projektionen, bediente. Bei der Schilderung der Proben zu Macbeth führt der Autor noch einmal seine These aus, dass Verdi seiner Meinung nach vor allem Musiktheater machen wollte und dabei den Sängern vollkommen ungewohnte schauspielerische Leistung abverlangte. Um diesen Punkt zu untermauern, gibt Schwandt zahllose Details aus der Entstehungsgeschichte der Opern und ihrer Uraufführungen wieder. Leider unterlässt er es, die gesellschaftliche Rolle des Theaters und der Oper im Risorgimento zu thematisieren. Die Fülle an Fakten und Klatsch aus dem Theaterleben führt manchmal zu einer gewissen Schwerfälligkeit und Langatmigkeit der Biographie. Da der jüngere Verdi oft an zwei oder drei Projekten gleichzeitig arbeitete, behandelt Schwandt diese auch parallel, was seine Biographie zudem unübersichtlich macht. Problematisch ist auch, dass Schwandt zwar intensiv auf die Libretti Verdis eingeht, aber seiner Musik dagegen relativ wenig Aufmerksamkeit widmet.

Auf den hochpolitischen Charakter der Opern der frühen und mittleren Periode geht Schwandt nur sehr knapp ein. Er erwähnt zwar, dass Verdi mit seinem Idol Mazzini zusammentraf, als er zur Uraufführung von "I Masnadieri" 1847 in London weilte, und auch sein Engagement für die Revolution von 1848/49 wird geschildert. Verdis geistige Entwicklung aber, seine Beziehung zu den intellektuellen und künstlerischen Strömungen im zeitgenössischen Italien, bleiben unerwähnt. Wie sich der Komponist vom mazzinischen Republikaner zum Parteigänger des monarchistischen Einigungsprozess unter Cavours Führung wandelte, wird nicht erklärt. Verdis Bewunderung für Cavour und seine Erschütterung nach dem Tod des norditalienischen Staatsmanns werden dagegen ausführlich geschildert.

Vernachlässigt Schwandt die Rolle der Politik beim frühen und mittleren Verdi, entdeckt er politische Dimensionen in späteren Werken wie "La forza del destino" (1862) und "Aida" (1871), die sonst eher als unpolitisch oder gar als resignativ beschrieben werden. In den Opern "Don Carlos" (1867) wie in "Aida" entdeckt der Autor beißende Kirchenkritik, in letzterer zusätzlich noch die Ablehnung des übersteigerten Nationalismus, der damals in Italien herrschte. Auch die wohltätigen Taten des späteren Verdi, wie etwa das Krankenhaus, das er unweit seines Gutes Sant'Agata errichten ließ, die Tatsache, dass er Ehrenpräsident einer Lohnarbeiterassoziation wurde und seine kritische Haltung gegenüber der unsozialen Politik des jungen italienischen Staates, werden erwähnt.

Da Verdi in fortgeschrittenem Alter nicht mehr so viel komponieren mochte und sich auch nicht mehr mit derselben Intensität um die Uraufführungen seiner Werke kümmerte, wird Schwandts Biographie in der Schilderung dieser Jahre wesentlich übersichtlicher. Ausführlich stellt er Verdis Beziehung zur Sopranistin Teresa Stolz dar, die dessen langjähriger Partnerin Giuseppina Strepponi-Verdi viel Kummer bereitete.

Zum Gedenken an den Risorgimento-Schriftsteller Alessandro Manzoni komponierte Verdi 1873 sein berühmtes Requiem, das zwar sehr erfolgreich war, aber besonders die Internationale der Wagnerianer erbitterte. Hier wie bei anderen Kontroversen referiert Schwandt zwar die Fakten, es gelingt ihm aber nicht, die Grundlinien des Konfliktes analytisch herauszuarbeiten. Immerhin beschreibt er die späten Jahre Verdis mit Akribie und Genauigkeit, nicht nur die Opern "Otello" (1887) und "Falstaff" (1893), sondern auch seinen Lebensstil und seine sonstigen Aktivitäten, wie den Auftritt beim Rheinischen Musikfest in Köln. Die Biographie ist detailreich, aber darin liegt gleichzeitig ihre Schwäche, denn statt einer erzählerisch durchdachten Darstellung liefert Schwandt eine Aneinanderreiung von Fakten, der es, zumindest im ersten Teil, auch noch an Übersichtlichkeit fehlt. Immerhin ist das Insel Taschenbuch ansprechend mit Bildern ausgestattet, im Anhang finden sich ein Werkverzeichnis, eine Zeittafel und eine ziemlich dünne Literaturliste.

Titelbild

Christoph Schwandt: Giuseppe Verdi. Eine Biographie.
Insel Verlag, Frankfurt 2000.
303 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3458343962

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