Verdi für Fortgeschrittene

Julian Buddens meisterhafte Verdi-Biographie

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rechtzeitig zum Jubiläums-Jahr hat der Reclam Verlag eine zweite revidierte Ausgabe von Julian Buddens Verdi-Biographie auf den Markt gebracht. Budden ist einer der besten zeitgenössischen Verdi-Kenner, seine Biographie ein Standardwerk. Mit der Zweiteilung in Lebensgeschichte und Werkgeschichte, einer ausführlichen Zeittafel, einem Werkverzeichnis und einer umfangreichen Auswahlbibliographie wird die Biographie gleichzeitig zum Nachschlagewerk. Zudem bringt der Autor das Kunststück fertig, wissenschaftlich fundiert und dabei verständlich zu schreiben. Trotz des relativ knappen Umfangs der Lebensbeschreibung werden alle wesentlichen Fakten behandelt, Budden behält sogar die Kontroversen der Forschung und die Rezeptionsgeschichte im Auge. So erwähnt er gleich im seinem Vorwort den großen Anteil, den Franz Werfels Roman "Verdi" an der Wiederentdeckung des Komponisten außerhalb Italiens hatte.

Budden hält sich nicht sonderlich lange mit den Verdi-Mythen auf, über Verdis Jugend gibt es wenig gesicherte Kenntnisse, stellt er fest und deshalb wird dieses Thema nur kurz abgehandelt. Verdis ebenfalls legendenumrankter Durchbruch mit "Nabucco" wird kurz und sachlich geschildert. Lobenswert ist auch, dass es der Autor trotz aller Ökonomie der Darstellung schafft, den Kontext der Opern auszuleuchten. So skizziert er die kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse des österreichischen Mailands, in dem Verdi seine ersten großen Erfolge hatte. Die Oper "Macbeth", mit der Verdi musikalisches und dramatisches Neuland erschloss, hatte ihre Uraufführung in Florenz. Im intellektuellen Zentrum des damaligen Italien wusste man Avantgardistisches zu schätzen, hebt Budden hervor. So wurde die Uraufführung der unkonventionellen Oper zum triumphalen Erfolg, der dem Komponisten die Türen zu den berühmten Salons der Stadt öffnete, in denen er die Bekanntschaft mit Vordenkern des Risorgimento machte.

Aufschlussreich sind auch die Ausführungen Buddens über die persönlichen Beziehungen des Maestros, so z. B. zum Librettisten Francesco Maria Piave, der Verdis Ideen kongenial in Operntexte umsetzte. Giuseppina Strepponi gewinnt in seiner Darstellung an Profil. Die Operndiva, deren Karriere schon fast zu Ende war, als Verdi sie kennenlernte, erscheint nicht nur als Ursache des Skandals, weil sie drei uneheliche Kinder hatte und mit Verdi lange unverheiratet zusammenlebte, sondern als kompetente Ratgeberin Verdis, die loyal, aber auch eigenständig agierte.

Die politischen Aktivitäten Verdis, sein häufiger Ärger mit der Zensur, das Engagement für die 1848/49er Revolution und die Unterstützung für Cavour werden gebührend gewürdigt. Seine Verbundenheit mit dem Risorgimento führte dazu, dass er nach dem Abschluss des Einigungsprozesses fast zum "Nationalheiligtum" wurde, gegen das die junge Generation der italienischen Künstler rebellierte. Mit der Kunstszene des Post-Risorgimento hatte Verdi wenig gemein, sagt Budden, denn obwohl er sich musikalisch beständig weiterentwickelte, blieben seine literarischen und kulturellen Vorlieben doch der Zeit des Risorgimento verhaftet. Das galt zumindest teilweise auch für die Politik, hier hatte Verdi einige seiner mazzinischen Ideen beibehalten, was z. B. in seiner radikalen Ablehnung des Kolonialismus resultierte. In dem jungen italienischen Staat war Verdi, trotz vieler Ehrungen, nicht wirklich zu Hause, aber auf seinem Gut Sant'Agata versuchte er, ein Gegenmodell zu verwirklichen, mit modernster Landwirtschaft und vielen sozialen Wohltaten für die Bevölkerung, die in der Biographie geschildert werden. Führten die vielen Kontroversen der späten 1860er und frühen 1870er zu einem dunklen Jahrzehnt für Verdi, erlebte er danach noch einen produktiven "Spätsommer" und recht erfüllte Greisenjahre, meint der Autor, dessen narrative Konzentration in der Schilderung der späten Jahre des Maestros etwas nachlässt.

Den biographischen Teil seiner Verdi-Darstellung beendet Budden mit einer Huldigung an Verdi als den Komponisten, dem es gelang, "eine absterbende und kraftlos gewordene Operntradition zu überwinden, um eine musikalische Welt von unendlicher Tiefe und Vielfalt zu schaffen."

Wie Verdi dies im einzelnen fertigbrachte, wird im werkgeschichtlichen Teil erläutert, der einen größeren Umfang als der biographische hat. Hier beginnt Budden mit einer Schilderung des musikgeschichtlichen Hintergrundes im restaurativen Europa der Heiligen Allianz, dessen eskapistisch-hedonistischer Ausdruck die Opern Rossinis gewesen seien. Dies ist eine ziemlich unfaire Feststellung, wie auch immer man die ideologische Haltung Rossinis beurteilt, hat der anarchistische Witz des "Barbier von Sevilla" doch wenig mit der Heiligen Allianz zu tun. Schließlich hat Rossini auch den jungen Verdi sehr beeinflusst, worauf Budden hinweist. In den frühen Opern fänden sich darüber hinaus noch Anklänge an Bellinis und Donizettis Musik. Das gilt auch noch für "Nabucco", sagt Budden. In der dramatischen Kraft und Intensität des Werkes bilde sich bereits Verdis eigener Stil heraus, den er dann endgültig in seiner fünften Oper "Ernani" (1844) gefunden habe. Mit der Ausnahme der Oper "Macbeth" habe Verdi in den darauffolgenden "Galeerenjahren" rein technisch seinen Stil kaum fortentwickelt, dafür habe er seinen massigen Risorgimento-Stil kultiviert, mit dem historisch-politische Themen musikalisch relativ gradlinig umgesetzt wurden. In der einen oder anderen Form gab es darin Protest gegen Fremdherrschaft, und das Volk erschien im Regelfall in Gestalt des Chores auf der Bühne. Manche Werke aus den Galeerenjahren verteidigt Budden gegen ihre Verächter: die Oper "I Masnadieri" nach Schillers "Die Räuber" sei nun einmal ein Sturm-und Drang-Stück und als solches hätte Verdi es eben auch vertont. Die Revolutionsoper "La battaglia di Legnano", der ebenfalls Simplizität vorgeworfen wird, findet der Autor musikalisch teilweise recht elaboriert und innovativ.

Budden beschreibt, wie sich Verdis Stil nach der Niederlage der Revolution wandelte, statt pathetischem Politstil waren nun leisere Töne zu hören, auch wandte er sich neuen Themen zu, es ging nun vermehrt um Individuen und ihre Beziehung zueinander, bzw. zur Gesellschaft. Die Opern dieser Schaffensperiode, unter denen sich "Rigoletto", "Il Trovatore" und "La Traviata" finden, hält Budden für von Höhepunkt des Verdis Schaffens. Für ihn zeichnen sich diese Werke vor allem durch die Vielschichtigkeit der musikalischen und dramatischen Gestaltung aus. Nach dieser Periode kehrte Verdi jedoch zu politischen Stoffen zurück und versuchte sich an der Form der großen Oper. Die gelungensten Kompositionen dieser Periode sind für Budden die Opern "Don Carlos" (1867) und "Aida" (1871). "Auf dem Weg zur großen Oper" heißt das Kapitel, in dem der Autor diese Entwicklung diskutiert, das aber im Unterschied zu anderen Teilen der Biographie etwas trocken geraten ist.

In seinen beiden letzten Opern "Otello" (1886) und "Falstaff" (1893) wandelt sich Verdis Stil erneut. Musikalisch gelang ihm mit dem Alterswerk der Anschluss an internationale zeitgenössischen Tendenzen. Viele Verdi-Anhänger finden "Otello" und "Falstaff" deshalb höchst untypisch. Während sich diese meist für die Spätopern nicht begeistern können, sind sie für Wagnerianer die einzig akzeptablen Werke Verdis, so Budden, der aber überzeugend ausführt, dass diese beiden Opern sich nicht im Stil von irgendeinem anderen zeitgenössischen Komponisten, etwa Wagner, bewegen, sondern diesen eher überholen und modernere Tendenzen, etwa den Impressionismus antizipieren.

So wie Budden in seinem Kapitel über die letzten Meisterwerke die Mischung von traditionellen und innovativen musikalischen Elementen diskutiert, hätte man sich am Ende der Biographie solch eine Diskussion für das Gesamtwerk gewünscht. Auch ein Ausblick auf den Einfluss von Verdis Opern auf die nachfolgenden Komponisten-Generationen wäre interessant gewesen. Stattdessen aber finden sich weitere Kapitel über die kammermusikalischen und die geistlichen Werke Verdis. Hier, wie auch in den Kapiteln, in denen Budden die Opern diskutiert, wird die musikalische Vielseitigkeit Verdis deutlich. Die Kapitel über die sonstigen Werke Verdis dienen zwar der Vollständigkeit insgesamt hervorragenden Darstellung, wären aber angesichts der Tatsache, dass Verdi seinen Platz in der Musikgeschichte im wesentlichen mit seinen Opern errungen hat, nicht unbedingt nötig gewesen.

Titelbild

Julian Budden: Verdi. Leben und Werk.
Reclam Verlag, Stuttgart 2000.
405 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3150104696

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