Stimme mit Spinnwebflügeln

Silvia Plaths Erzählband "Zungen aus Stein" als Taschenbuch

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bekannt wurde Silvia Plath durch ihren wunderbaren, mit fast heiterer Traurigkeit erzählten Roman "Die Glasglocke". Doch nicht nur ihr Hauptwerk, auch ihre Gedichte und Erzählungen atmen dieses Flair. Der Piper Verlag hat nun den Erzählband "Zungen aus Stein" als Taschenbuch neu aufgelegt. Die in ihm versammelten literarischenTexte wurden zwischen 1949, als Plath gerade 17 Jahre alt war, und 1962, unmittelbar vor ihrem Suizid, verfasst.

Behandelt die Siebzehnjährige in "Ein Tag im Juni" zwar noch einen typischen Jungmädchenstoff, so ist es doch erstaunlich, wie es ihr bereits in diesem frühen Text gelingt, auf nicht mehr als einer Seite mit dichten Bildern einen Junitag auf dem Land entstehen zu lassen, ihn nicht nur vor den Augen der Lesenden zu schaffen, sondern sie hineinzuversetzen, ihnen die Haut mit dem grünen und gelben Licht zu wärmen, ihre Zungen mit dem Geschmack von Minze zu erfrischen, sie ganz mit dieser Atmosphäre zu verzaubern. In einer anderen, späteren Erzählung begleitet Plath den Leser auf einem fast lyrischen LSD-Trip durch Alices Wunderland und lässt ihn fröstelnd an einem Geschlechtsverkehr teilhaben, dessen Kälte darin besteht, dass sich das Mädchen in dieser kalten Winternacht gewärmt fühlt. Weil Hamisch "mit seinem Gewicht auf ihr" liegt, so dass sie "nicht heldenhaft" sein muss, um "durchzuhalten".

Schon in den allerersten Erzählungen hat Plath ihr eigentliches Thema gefunden, das sich in verschiedenen Variationen fast durch ihr gesamtes literarisches Schaffen zieht: Verlust - Verlust der Kindheit, des Vaters oder eines anderen nahestehenden Menschen, Verlust von Hoffnung und der scheinbar heilen Welt. Vom Verlust - und der Angst vor ihm - erzählt Plath "kristallklar, wie durch Tränen gesehen" in einer "Stimme mit Spinnwebflügeln". Eine Stimme, die nie theatralisch klingt, sondern in steter, ruhiger Melancholie dahin fließt, zuweilen lapidar, so etwa wenn Plath in "All die lieben Toten" beiläufig von einem ausdauernden Selbstmörder erzählt, dessen Gründe nicht erwähnt werden, da es keiner besonderen Gründe bedarf, sich zu töten. Glückliche Momente erleben Plaths Figuren allenfalls dann, wenn sich der befürchtete Verlust - vorerst - nicht einstellt.

Stets handeln die Erzählungen vom kleinen Kosmos privatester, oft familiärer Beziehungen. Nur ein, zwei mal bricht die Welt in diesen Kosmos ein, als Zweiter Weltkrieg mit seinen bedrohlichen Bildern gefolterter Gefangener, oder als psychiatrische Hölle. Doch um das Leid der Welt darzustellen, genügt Plath ein tumber, gefühlloser Parkwächter, der ein junges Mädchen in Tränen ausbrechen lässt, weil er darauf beharrt, die Parkgebühr zu kassieren. Alle Borniertheit, Ungerechtigkeit, Verständnislosigkeit, aber auch Hilflosigkeit und Traurigkeit der Welt sind hier gebündelt - scheinbar schlicht erzählt, dabei anrührend und ohne jeden Anflug von Kitsch.

Es muss eine heile Welt gewesen sein, in der es gelingen konnte, ihre Heillosigkeit auf diese Art zu erzählen. - Vielmehr, sie musste noch die Fähigkeit besessen haben, heil zu scheinen, diese Welt der fünfziger Jahre. Eine Fähigkeit, die der Welt des neuen Jahrtausends schon lange abhanden gekommen ist.

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Sylvia Plath: Zungen aus Stein. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Englischen von Julia Bachstein und Susanne Levin.
Piper Verlag, München 2001.
266 Seiten, 9,20 EUR.
ISBN-10: 3492227813

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