Das Leben ein Gedicht

Über Hartwig Schultz' Brentano-Biografie "Schwarzer Schmetterling”

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mein Leben ist das wundervollste Gedicht, das je gedichtet worden", bekannte Clemens Brentano einmal. "Wundervoll" war von ihm wörtlich gemeint. Denn wie er sogleich hinzufügte, hätte er dieses wundervolle, seltsame Leben am liebsten umgearbeitet, hatte es doch "weder meinen, noch der Menschen, noch Gottes Beifall". Brentano war, als er zu diesem Urteil gelangte und sich zugleich - nicht ohne Eitelkeit - von seinen früheren publizierten Werken distanzierte, 55 Jahre alt und längst überzeugter Katholik. Den ungewöhnlichen Weg des ewig unmündigen und doch genialen "Kindes" Clemens vom romantischen Dichter zum religiösen Eiferer zeichnet jetzt Hartwig Schultz in seiner Brentano-Biografie "Schwarzer Schmetterling" nach.

Zweifelsohne ist Schultz dafür prädestiniert, wirkt er doch als Mitherausgeber an der 50-bändigen Frankfurter Brentano-Ausgabe mit und veröffentlichte 1998 die längst überfällige Edition des Freundschaftsbriefwechsels zwischen Clemens Brentano und Achim von Arnim. Der Brentano-Nachlass, wie er in der Werkausgabe erschlossen wird, bildet auch das Fundament dieser Biografie, in der über weite Strecken auf Brief- und Werkzitate zurückgegriffen wird und die so "stellenweise den Hauch einer Selbstbiografie" erhält, wie der Autor selbst herausstellt. Als Standardwerk für die Literaturwissenschaft ist das Buch jedoch nicht gedacht. Vielmehr möchte Schultz das Werk und die Person Brentanos einem breiteren Publikum bekannt machen. Einem gänzlich unbedarften Leser dürfte er aber wohl etwas zu viele Details und Ausführungen zumuten. Germanisten und interessierte, motivierte Laien aber finden in "Schwarzer Schmetterling" ein kenntnisreiches und unterhaltsames Buch, das diesen ungewöhnlichen, wahrhaft romantischen Menschen Brentano lebendig werden lässt.

Mystifikation und Selbststilisierung prägen stets die eigenen Aussagen Brentanos, der am 9. 9. 1778 als Sohn des Frankfurter Kaufmanns Pietro Antonio Brentano und seiner zweiten Frau Maximiliane, einer frühen Liebe Goethes, zur Welt kommt, seinen Geburtstag jedoch stets einen Tag früher, den Tag von "Mariä Geburt", feiert. Dem bürgerlichen Leben als Kaufmann entzieht sich Clemens geschickt. Er studiert mal dies, mal das und verehrt bald die Frühromantiker Schlegel und Tieck. Freilich bleibt "Angebrentano", wie er zunächst in Jena verspottet wird, nicht lange passiver Bewunderer, sondern fängt an, selbst zu dichten. Mit viel Talent. "Jeder Dichter nämlich hat zwar, oder soll doch sein bescheiden Teil Genie haben; aber Brentano hatte dessen unbescheiden viel", bleibt Joseph von Eichendorff dem jungen Studenten nur zuzugestehen.

Das innige Verhältnis zu seiner Schwester Bettine, die Freundschaft zu deren späteren Ehemann Achim von Arnim, die Pläne zum Volksliederbuch "Des Knaben Wunderhorn", Liebe und Ehe mit Sophie Mereau - alle Stationen im Leben Brentanos werden sorgfältig dargestellt. Besonders spannend ist Schultz' Darstellung der überstürzten zweiten Heirat Clemens', nur neun Monate nach dem Tod Sophies. Verführung und Entführung der nur 16-jährigen Auguste Bußmann bereut der 29-jährige Clemens schnell. Keine drei Wochen nach der Hochzeit schon scheint ein dauerhaftes Zusammenleben unmöglich, Brentano spricht nur noch von dem "kuriosen Teufelsweib".

Schultz versucht dagegen, ein faires Bild der jungen Auguste zu entwerfen. Erst seit Hans Magnus Enzensbergers Dokumentation "Requiem für eine romantische Frau" 1988 findet das Schicksal Augustes in der Brentano-Forschung Aufmerksamkeit. Bis dahin, kritisiert Schultz, sei die Germanistik "völlig unkritisch" mit der jungen Frau umgegangen. Clemens Brentano hatte seinen "Auguste-Roman", in dem das Mädchen als "simpel oder wahnsinnig" erscheint, gut konstruiert, betont Hartwig Schultz. Und seine Familie habe das ihrige getan, um diesen Skandal und Schandfleck auszulöschen: "So kam es noch im 20. Jahrhundert zu einer Tausch- und Vernichtungsaktion von Zeugnissen der Bußmann-Affäre".

Dabei war Auguste, die in ihrer Verzweiflung bis zu Selbstmordversuchen ging, um Clemens nicht zu verlieren, wohl "nur" eine lebenshungrige junge Frau, die Abwechslung, Bestätigung und Betätigung suchte. Sie heiratet Clemens in einem regelrechten Rausch, träumt mit ihm von der absoluten Liebe - die dann im Alltag scheitert, zur Hassliebe wird. Das Ende ist, zumindest für Auguste, tragisch. Der stürmischen Ehe folgt am Ende die Scheidung. Später wird Auguste von ihrer Familie wiederverheiratet, bringt insgesamt vier Kinder zur Welt und ertränkt sich 1832 im Main. Von ihren Lebensumständen in der zweiten Ehe, den Gründen für den Freitod ist allerdings kaum etwas bekannt.

Clemens Brentano verarbeitet währenddessen weiter seine literarischen Motive und Liebeslieder in immer neuen Varianten "und bringt es auch fertig, seine Schöpfungen nacheinander verschiedenen Frauen zu widmen". Tiefe Selbstzweifel führen schließlich zu einer großen Wende in seinem Leben. Sogar die Perspektive eines Priesterdaseins in der katholischen Kirche erwägt er. Umgesetzt wird dann eine Generalbeichte, mit der er seine junge Freundin Luise Hensel, an deren Konvertierung er ebenfalls "arbeitet", in Verlegenheit bringt. "Sie beklagte sich später darüber, dass er sie durch seine Schilderungen erst mit zahlreichen,Sünden' bekannt gemacht und auf diese Weise,verdorben' habe."

Auch bei seiner religiösen Umkehr macht Brentano keine halben Sachen. Im Zuge seiner katholischen Neuorientierung lässt er seine Bibliothek - sofern sie nicht der Aufgabe einer dienenden, christlich-naiven Gebrauchskunst entspricht - im Dezember 1819 versteigern. Viel Zeit verbringt er auch am Krankenbett der Stigmatikerin Anna Katherina Emmerich, deren Leben er dabei protokolliert. "Als Erbauungsbücher [...] hatten diese Werke dabei mehr Erfolg als alle anderen Publikationen aus seiner Feder." Doch bleibt es glücklicherweise nicht nur bei braven religiösen Gelegenheitsdichtungen. An deren Stelle tritt mit einer späten Verliebtheit in Emilie Linder noch einmal erotische (Alters-)Poesie bevor Brentano 1842 in Aschaffenburg stirbt - und als einer der größten Lyriker der Romantik auch dieses "wundervolle" und für uns Leser alles andere als überarbeitungsbedürftige Lebensgedicht hinterlässt.

Titelbild

Hartwig Schultz: Schwarzer Schmetterling. Zwanzig Kapitel aus dem Leben des romantischen Dichters Clemens Brentano. Biographie.
Berlin Verlag, Berlin 2000.
538 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3827003032

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