Fitnessprosa

John von Düffel über den modernen Helden

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon auf dem Cover von "Ego" prangt er in der Mitte, der Nabel, durchtrainiert wie die darüber glattrasiert sich wölbende Sixpack-Männerbrust, Nabel zugleich der Welt, würdiges Leitmotiv eines Romans, der den egomanen Helden unserer Zeit beschreibt. Es ist der im Fitnesstudio geschaffene Athlet, perfekt im Training wie im Büro, wo er vor den Blicken der ergebenen, ebenfalls durchgestylten und perfekten Sekretärin gegen das Fensterlicht seine Rückenmuskeln spielen lässt, um dann am Telefon lässig seine Geschäfte abzuwickeln. Der Körper ist alles, nur die Oberfläche zählt; die ersten Sekunden des äußeren Eindrucks entscheiden über den Erfolg, ob im Geschäft oder bei den Frauen. Körperbeherrschung ist Macht. Jeder ist deshalb, logischerweise, mit dem eigenen Körper beschäftigt und nicht in der Lage, den anderen wahrzunehmen, schon gar nicht im Studio. "Zuviel Aufmerksamkeit für andere ist ein sicheres Zeichen dafür, daß man nicht hierhergehört." Es versteht sich von selbst, dass das permanente Training von einer streng auf den Zustand der jeweiligen Muskelpakete abgestimmten Diät begleitet wird, einer "hawaianischen Portionsbanane" z. B. "Der hohe Fruchtzuckergehalt dieser Südfrucht bewirkt einen sofortigen Energiekick und sorgt für eine unverwüstliche Leistungskurve." Da es dem Helden gelingt, seinen Nabel innerhalb der drei Tage währenden Handlung von anfangs fünf Millimeter Tiefe bis zur "Nabeltiefe null" zu straffen, darf man dem Roman ein Happy End bescheinigen.

Freilich ist schon von der ersten Seite an klar, dass dieser Held (ein einziges Mal wird er mit seinem Namen Philipp genannt) ein Getriebener ist, ein Gefangener seines Fitnesswahns. Keine fünf Minuten kann er im Auto sitzen, ohne mit dem Fisttwister zu agieren, und auch die morgendliche Toilette zieht sich geschäftsschädigend in die Länge, weil immer noch der eine oder andere Muskel in Form gebracht werden muss. Dieser Körperkult hat Züge einer Sucht, so wie sein ständiges Schielen nach den Frauen - wissen sie denn die Fortschritte im Nabelbereich zu würdigen? - Züge einer Paranoia hat. Er kann sie zwar spielen, die Rolle des immer hundert Prozent seriösen Top-Consulters, der selbst für das schlecht beratene Existenzgründerduo aus Jena noch gute Tipps hat zum "richtigen Timing beim Verlassen des sinkenden Schiffs". Er weiß immer, was er tun muss. Er weiß, worauf es ankommt: Umsatzsteigerung und Gewinnmaximierung. Er weiß auch, dass die Juniorpartnerschaft im Unternehmen nur zu erreichen ist, wenn auch die Frau des Chefs befriedigt wird. Insgesamt macht dieser Mensch aber eine jämmerliche Figur, wie er so allen Trends nachrennt und mit jedem Hantelfritzen gleich in Wettstreit treten muss. Dieser Held ist im Grunde ein Schwachkopf, was sich am schönsten in seiner Beziehung zur Quasi-Verlobten Isabell zeigt. Die glaubt er streng nach Nützlichkeitsprinzip manipulieren zu können, mit Strategien, die er in klar strukturierten Spiegelstrichen ausformt. In Wahrheit ist sie es, die die Fäden zieht und ihn gleichzeitig die Karriereleiter hoch und in die Vaterschaft treibt. "Er ist nun wirklich", sagt sie, "der größte Egoist, den ich kenne." Aber ordentliche Gene hat er wohl, und man wird sich beidseits auf einen "elastischeren Begriff von Monogamie" einigen. Was zählt, ist der Erfolg. "Oder glaubst du, daß du der einzige Mensch bist, der keine Gefühle hat?"

Nein, er ist nicht wirklich stark, dieser Nabelfanatiker, auch nicht als Romanheld und schon gar nicht als Ich-Erzähler. Bis auf ein aus unerfindlichen Gründen in Er-Form erzähltes Kapitel sind wir auf seine beklagenswert beschränkte Perspektive angewiesen. Man mag ihm nicht einmal die seltenen Momente der Selbsterkenntnis oder des Zweifels abnehmen. Es ist John von Düffel gelungen, seinen Erzähler so uninteressant, eindimensional und absolut wandlungsunfähig darzustellen, dass man sich fragt, warum man sich mit ihm eigentlich beschäftigen soll. Und er ist Zentrum des Buches; die Handlung ist nur ein Mittel, ihn in Aktion zu zeigen.

In seinem ersten vielbeachteten Roman "Vom Wasser" hält die in immer wieder neuen Variationen geschilderte Faszination des Wassers das Romangeschehen zusammen. "Ego" ist in das Sprachfeld "Körperkultur" eingebettet. Erneut hat John von Düffel für diesen Bereich einen erstaunlichen Wortreichtum, ein breitgefächertes Sprachmaterial ausgebreitet, eine veritable Fitnessprosa entwickelt, der solche Formulierungen gelingen wie "Ich habe noch nie einen Nabel gesehen, der sich so logisch aus einem Bauch ergibt." Allerdings hat das Thema nicht die Variationsbreite des Wassers. Es ist zwar hübsch, wenn der Held erzählt, wie schön er schwitzt - "man könnte von einem harmonischen Tropfenwurf sprechen, der sich spielerisch mit meinem bronzefarbenen Teint verbindet", doch sind die seitenlangen Beschreibungen der diversen Fitnessaktivitäten nicht nur stark überzeichnet, sondern insgesamt ermüdend. Das Leitmotiv ist überstrapaziert; es verleiht dem Hauptdarsteller keine Substanz, sondern rotiert um sich selbst, so wie der Held um seinen Nabel.

Titelbild

John von Düffel: Ego. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
281 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3770158148

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