Deutschland in Zeiten des Krieges

William L. Shirers Rundfunkreportagen aus Deutschland

Von Fabienne QuennetRSS-Newsfeed neuer Artikel von Fabienne Quennet

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Blick eines ausländischen Journalisten auf Deutschland unter der Regierung der Nationalsozialisten ist sowohl informativ als auch beklemmend. 1934 kam der amerikanische Publizist William L. Shirer nach Berlin und berichtete für verschiedene Nachrichtenagenturen und Zeitungen, bis er von 1938 an als Rundfunkreporter für die "Columbia Broadcasting Berlin" tätig wurde. Der Rundfunkjournalismus steckte noch in den Kinderschuhen, als sich Shirer und sein Kollege und Vorgesetzter Ed Murrow daranmachten, Rundfunknachrichten nicht nur als Schlagzeilen, sondern als unmittelbaren Nachrichtenjournalismus mit einem ganz eigenen Format zu senden. Das erste Mal überhaupt gab es direkte Nachrichtenübertragungen, vor Ort, aus verschiedenen Städten. Das ganze Potential des relativ neuen Mediums wurde gerade erst erforscht, als 1939 der Zweite Weltkrieg begann, das Radio zum Massenmedium aufstieg und von der Propaganda ausgenutzt wurde.

Doch gerade auch ausländische Journalisten bedienen sich in dieser Zeit des Rundfunks, um eine möglichst objektive und aktuelle Nachrichtenpolitik aus Deutschland zu senden. "Guten Abend! Hier ist William L. Shirer aus Berlin", oder "Hallo Amerika! Hier ist Berlin", so beginnen viele Rundfunksendungen, die in der 1999 herausgegebenen Sammlung seiner Reportagen von 1939 - 1940 zusammengefasst worden sind. Bekannt geworden ist Shirer in Deutschland vor allen Dingen durch sein 1961 veröffentlichtes Werk "Der Aufstieg und Fall des Dritten Reiches", eine der ersten umfassenden Analysen Nazideutschlands, das sich auf 485 Tonnen Originaldokumente aus den verschiedenen Archiven der Regierung der Nationalsozialisten stützt.

Seine Rundfunkreportagen bestechen durch die Mischung aus politischen und militärischen Nachrichten mit Berichten über die deutsche Presse, die deutsche Informationspolitik, mit offiziellen Mitteilungen und persönlichen und alltäglichen Beobachtungen. Sie zeugen von einer Unmittelbarkeit, die wohl nur im Rundfunk möglich war. Da sie jedoch von der sehr persönlichen Sichtweise Shirers auf Deutschland bestimmt waren, sind sie nicht ohne Distanz zu genießen, und oftmals ist Shirer dem Vorwurf eines chauvinistischen, fremdenfeindlichen Journalismus ausgesetzt gewesen, der den Weg Amerikas in den Krieg geebnet haben soll. Er begegnet vielen Ereignissen mit Unverständnis und wenig Objektivität, allerdings gibt er auch nie vor, ein neutraler Beobachter zu sein. Als Interpret der Ereignisse fungiert er als Auge und Ohr seiner amerikanischen Hörer. Gerade seine Alltagsbeobachtungen faszinieren durch die Details und beiläufig eingestreute Informationen, die man selten in offizieller Geschichtsschreibung findet.

Sein Blick auf Berlin ist ganz vom Gegensatz zwischen Krieg und ahnungslosem Alltagsleben mit all seinen Banalitäten geprägt. Am 2. Juni 1940 schreibt Shirer Folgendes über die Stadt: "Selbst seitdem die entscheidende Offensive begonnen hat, von der Herr Hitler sagte, sie werde den Gang der Geschichte für die nächsten tausend Jahre entscheiden, hat sich Berlin im Grunde nicht verändert. Läse man keine Zeitungen und hörte kein Radio, so wüßte man kaum, daß ein großer und schrecklicher Krieg nur ein paar hundert Meilen weiter weg geführt wird. Die Bevölkerung scheint ihren Alltag wie zuvor zu leben." Mit dem Wissen von heute erscheinen solche Beobachtungen besonders bedrückend und unheilvoll. Lakonisch und fast beiläufig offenbaren Shirers Rundfunkreportagen die ganze Absurdität und Grausamkeit des Naziregimes, die schon in den kleinen Dingen sichtbar werden.

Wie immer man zu seiner politischen Überzeugung stehen mag, Shirer bietet seinen Hörern immer auch eine andere Interpretation von den Informationen, die in der deutschen Presse verbreitet wurden. Stets weist er darauf hin, dass die deutsche Presse unzulänglich und verfälscht berichtet. So zum Beispiel wenn er am 18. November 1939 zeigt, wie die deutsche Presse die Entscheidung des obersten Kriegsrates der Alliierten, Englands und Frankreichs, ihre ökonomischen Kapazitäten zusammenzulegen, darstellt: "Die Zeitungen vermitteln ihren Lesern den Eindruck, als sei das Ganze lediglich ein weiterer Schritt, Frankreich vollends unter englische Kontrolle zu stellen. Es wird als Katastrophe für Frankreich dargestellt, fast so, als habe das Land dadurch seine Unabhängigkeit verloren". Solche Bemerkungen und Ergänzungen stellen zumindest einen Versuch dar, ein Gegengewicht zur deutschen Propaganda herzustellen, auch wenn sie nur die amerikanischen Zuhörer erreicht haben.

Fast spürbar ist auch der Eiertanz, den Shirer veranstalten musste, um sich vor der immer schärfer werdenden Zensur zu schützen. Wie seine Tochter im Nachwort berichtet, verwandte er anfangs noch amerikanische Idiome, da die Deutschen eher des britischen Englisch mächtig waren, doch all seine Kniffe und Tricks nützten gegen Ende seiner Arbeit in Berlin immer weniger. So berichtet er in der Rundfunkreportage vom 3. März 1940 über die Entstehung dieser Sendungen unter Kriegsbedingungen. In New York ist es 18.45 Uhr und in Berlin 0.45 Uhr, wenn Shirer seine täglichen Berichte ins Mikrophon spricht. Der Weg zum Studio ebenso wie der vergessene Radio-Pass der Sendeanstalt werden zu alltäglichen Hürden. In der Sendeanstalt muss Shirer noch etwa eine Stunde warten, bis die Zensoren sein Manuskript bearbeitet haben. Bevor Shirer dann vor dem Mikro sitzen kann, muss er seinen Pass noch drei behelmten Wachen vorzeigen.

Frustriert von den schlechten Bedingungen reiste Shirer 1940 aus, verließ Deutschland noch bevor die Nationalsozialisten ihn wegen angeblicher Spionage anklagen und festsetzen konnten.

Titelbild

William L. Shirer: This is Berlin. Rundfunkreportagen aus Deutschland 1939 - 1940.
Herausgegeben von Clemens Vollnhals.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Stefan Welz und Thomas Irmer.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1999.
416 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 337801041X

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