Im Netz der Netze

Manfred Faßlers Buch "Netzwerke" macht die Globalisierung wieder vorstellbar

Von Ernst GrabovszkiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ernst Grabovszki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einer Rangliste der in den letzten Jahren am meisten verwendeten Wörter würde der Begriff "Netzwerk" samt seinen Äquivalenten im Englischen - und dort vielleicht auch mehr gebraucht als im Deutschen - sicher problemlos mithalten können. Der Konjunktur der Begriffe geht eine Konjunktur des Bezeichneten voraus (oder hält mit ihr zumindest Schritt): Viel wird geredet und geschrieben über die globalen Verbindungen, seien sie nun virtuell oder ganz und gar materiell.

Ein Netz kann aber vieles sein: Familie, Mafia, geheime Absprachen, ökologische Beziehungen, also ein sozialer, politischer, ökonomischer etc. Verbund jeder Art.

Die mit dem Netz, im Besonderen dem Internet, gern in Verbindung gebrachten Begriffe der Information und der Sozialität stellen sich immer wieder neu, vor allem, wenn man von einem umfassenden Netzbegriff ausgeht: Sind nun Netzwerke, egal welcher Art, Informationsbeförderer oder Informationszerstörer, lenken sie Information durch die richtigen Kanäle und Strukturen oder wird die Information diffus? Ganz zu schweigen von der Frage, in welcher Form Information in einem Netz gespeichert werden kann oder soll.

Manfred Faßler, Professor an der Universität Frankfurt, hat sich seinem Thema von vielen Seiten angenähert. Er diskutiert Netzwerke sowohl im technischen als auch im sozialen und kulturellen Kontext. Seine Darstellung von Netzstrukturen, ihren Bedingungen und Konsequenzen, ist nicht durch einen disziplinären Standort geprägt, sondern erlaubt eine fächerübergreifende Perspektive.

Schließlich geht es auch um den Zugang zu diesem Netz, um seine Handhabbarkeit: Welche Rolle spielt der Mensch im Netz, welche Rolle spielt er außerhalb? Und was, wenn er aus dem Netz ausgeschlossen, also offline bleibt? Denn immerhin bestimmen "nicht mehr Städte, urbane Regionen, Meereshäfen oder Flughäfen allein [...] den Status einer Gesellschaft in globalen Wissens- und Warenräumen. Die mediale Durchdringung von Regionen mit Telefonen, Fernsehern, Modems, Servern, Knotenrechnern, PCs usw. bestimmt den Status einer Region auf den globalen Datenfeldern." Das neue Kapital heißt Information, dessen Verteilung erst durch diese Voraussetzungen erfolgen kann. Und Kapital bedarf bestimmter Verteilungsstrukturen. Aber nicht nur die Quantität von Kanälen und Inhalten ist entscheidend, sondern auch deren Qualität.

Ziel des Autors ist es, unterschiedliche Konzepte der Netzbeobachtung anzudeuten und "erste Elemente" einer Wissenschaftssprache zu formulieren, die eine wissenschaftliche Beschreibung der Netzuser ermöglichen soll und darüber hinaus die Selbst- und/oder Fremdaktivierung der zugrunde liegenden Strukturen mit einbeziehen will.

Faßlers Buch fesselt vor allem deswegen, weil er nicht von der verkürzenden Gleichsetzung von "Netz" mit "Internet" ausgeht, sondern ein differenziertes Bild entwirft.

Schließlich deutet Faßler mehrere Forschungsdesiderata an, deren Einlösung ein zusammenhängenderes Bild von der vernetzten Welt abgeben würde, etwa den Zusammenhang von Software- und kultureller Entwicklung.

Aus einer kultur- bzw. literaturwissenschaftlichen Perspektive kann das Buch u. a. für die moderne Diskussion um den Begriff "Weltliteratur" dienstbar gemacht werden und beispielsweise Anregungen dazu liefern, wie die kulturellen "Schalter", jene Stationen im Netz also, an denen Entscheidungen darüber getroffen werden, ob und wie "Information" weiterfließt, differenzierter zu betrachten sind. Für die ethnologisch orientierte Literaturwissenschaft genauso wie für die Komparatistik werden Gedanken auf Modelle rückführbar, die bisher nicht genug ausverhandelt wurden, etwa der globale Fluss der literarischen Übersetzungen und seiner institutionellen Voraussetzungen. Nicht zuletzt entsteht von dem mehr oder minder diffus gewordenen Begriff der "Globalisierung" wieder eine konkretere Vorstellung.

Netzwerke sind global, und genauso global ist der potentielle Leserkreis jener, die sich von diesem Buch angesprochen fühlen sollten. Der Autor regt eine fächerübergreifende Diskussion an, an der sich möglichst viele möglichst bald beteiligen sollten.

Titelbild

Manfred Faßler: Netzwerke. Einführung in Netzstrukturen, Netzkulturen und verteilte Gesellschaftlichkeit.
Wilhelm Fink Verlag, München 2001.
324 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 382522211X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch