Leere und Hoffnung der Pornographie

Michel Houellebecqs Gedichtband "Wiedergeburt”

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der französische so genannte Skandal- und Kultautor Michel Houellebecq, der mittlerweile in Irland lebt, hat im vergangenen Sommer seine Etikettierung marktstrategisch klug bestätigt. Geschickt platziert, von harschen Interviewäußerungen und einigen Missverständnissen begleitet, wurde sein Roman "Plateform" ein Erfolg, bevor ihn jemand gelesen hatte. Wenig souverän diskutierten weite Teile des deutschen Feuilletons mit, das die Romane des Autors zuvor - vor allem "Elementarteilchen" sorgte im Zuge der fortschreitenden Biotechnologie für Furore - nahezu einhellig gelobt hatte. In rascher Folge hat der Verlag nun auch Houellebecqs Gedicht-Trilogie veröffentlicht, die in "Wiedergeburt", vor zwei Jahren in Frankreich unter dem Titel "Renaissance" erschienen, ihren Abschluss findet. Die beiden ersten Bände, "Suche nach Glück" und "Der Sinn des Kampfes", liegen schon länger vor. Ein nicht auf Leitartikelrhetorik erpichter Autor wird hier offenbar.

"Wiedergeburt", in vier Abteilungen gegliedert, knüpft hinsichtlich Gestik und Tonlage nahtlos an die beiden ersten Bände an. Allein bei der Thematik lässt sich eine Veränderung ausmachen. Das Private und das Alltägliche drängen sich in den Vordergrund, während große gesellschaftliche Entwürfe, politische Invektiven wie etwa "Letztes Bollwerk gegen den Liberalismus" (aus dem Vorgängerband) in den Hintergrund treten. Was zählt, ist die subtile Beobachtung, die existentielle Not und das kleine Glück, dargeboten im von Houellebecq gewohnten Pathos, gespickt mit Metaphern, oft an der Grenze zum Kitsch. Vieles ist dabei nicht sonderlich originell. Existentialistische Philosopheme wie die Ansicht, dass "die Möglichkeit zu leben [...] im Blick des anderen" beginne, reihen sich ein in Wiederholungen von Bildern wie dem vom "leeren Himmel" - die den Lyrikleser sicherlich unterfordern. Dennoch finden sich gelungene Verse, allesamt um ein zentrales Motiv gruppiert: le vide, die Leere, abgesehen von der postulierten Leere des Himmels, erscheint als Traum und Ziel des menschlichen Seins und kann sowohl bedrohliche als auch geradezu paradiesische Züge annehmen. Der Gleichförmigkeit des Tagtäglichen lässt sich die Leidenschaftslosigkeit abtrotzen, die an anderer Stelle verachtet wird. Der immer wieder ausgestellten Geilheit werden "trostlose Agonien" folgen, und die vermeintlich "intensiven Momente" der Vergangenheit werden im Alter ironisch betrachtet werden. Das vorgeblich distanzierte lyrische Ich registriert, beurteilt und montiert schließlich Fakten derart, dass sich neue Sichtweisen ergeben, die dem metaphysischen Beginn das Ende in der Pornographie entgegenhalten. Demnach stellt sich die Frage "Wieder Zeremonien schaffen..." - so dieser Vers überhaupt als Frage angelegt ist - nach den Ritualen der "Wohlfahrtsmarathons / Im Satellitenfernsehen", die ein "emotionales Niveau" halten, "Kein sehr hohes, aber doch ein wenig lebhaft", kaum noch. Der Schluss, "Später werden Fickfilme gesendet", gibt dem Eingangsvers den Rest.

Bei diesem drastischen Bruch handelt es sich selbstverständlich um eine Provokation des passionierten Swingers Houellebecq, in dessen Werk es von Heftchen, Filmchen und "Schleimhäuten" nur so wimmelt. Doch hier wirkt die Auflösung eines Ennui weniger aufgesetzt. Die Larmoyanz findet in der Lyrik eine geeignetere Form. Apodiktische Urteile werden von Einzelbeobachtungen konterkariert. Das hemmt den hohen Ton bis zu einem erträglichen Maß und erhöht den Grad an Reflexion und Ambiguität, so dass endlich mehr bleibt als der weinerliche und polternde Autor mit der großen Medienresonanz, dessen Stilisierung durch ihn und die Presse allzu oft den Blick auf die Literatur verstellt.

Titelbild

Michel Houellebecq: Wiedergeburt. Gedichte.
Übersetzt aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
DuMont Buchverlag, Köln 2001.
200 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3770153596

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