Französisch sprechen in Warschau

Über Antoni Liberas ausgezeichneten Debütroman "Madame"

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein jüngeres Stück Zeitgeschichte, das der polnische Autor Antoni Libera in seinem Roman mit dem kurzen Titel "Madame" zum Leben erweckt. Ausgangspunkt ist die so simple wie mitreißende Geschichte eines Jugendlichen in Warschau, der in Liebe zu seiner unnahbar wirkenden Französischlehrerin entbrennt. Wie nebenbei breitet sich damit vor dem Leser das Schicksal einer Generation polnischer Intellektueller aus.

Mit seiner spielerischen und, so scheint es, vor jugendlichem Enthusiasmus und Übermut strotzenden Sprache fesselt der Protagonist den Leser. Und er ist sich dieser Wirkung bewusst: "So manches Mal in meinem Leben hatte ich mich bereits davon überzeugt, wie viel Worte bewirken können. Ich hatte ihre Zaubermacht entdeckt. Worte vermochten die Wirklichkeit nicht nur zu verändern, sondern sie zu kreieren und in besonderen Fällen sogar zu ersetzen."

Zudem erweist sich der Junge als beeindruckend facettenreich: Für sein Alter - geschätzte 17 Jahre - immens belesen, ist der Schüler der elften Klasse Höhergestellten, Theaterschauspielern wie Lehrern, in Bezug auf literarisches Wissen ebenbürtig und stellt das auch mehrfach in amüsanten, kleinen Szenen unter Beweis.

Gleichzeitig ist Madame nicht seine einzige Leidenschaft. Er hegt darüber hinaus ein brennendes Verlangen, selbst schöpferisch zu sein, gründet Theaterensembles, schreibt Bühnenstücke und versucht sich als Jazzpianist.

Nicht nur das Wissen der Lehrer, auch das des Lesers findet sich ein ums andere Mal auf dem Prüfstand, denn eine Fülle von geschichtlichen Fakten und Zeitzeichen bestimmt den Roman. "Madame" ist ein immens belesenes Stück Literatur, voll von Literaturtheorien und Geistesgeschichte.

Ohne Frage lässt sich der Roman unter die postmodernen einordnen, dessen Paradebeispiel in seiner lustvollen Vermischung von wissenschaftlicher Historie und Unterhaltung nach wie vor Umberto Ecos "Name der Rose" ist. Die postmoderne These von "Literatur als Spiel" ist in den geschilderten Jugenderlebnissen in Liberas Roman geradezu greifbar. So wird der Dialog des Protagonisten mit seiner Lehrerin gar zum Schachduell: ",Haben Sie Ihr Studium denn nicht an der Warschauer Universität absolviert?' ,Si, bien sûr! Wo denn wohl sonst?' In ihrer Stimme schwang weiterhin hochherrschaftliche Verdrießlichkeit mit, doch eben gerade in diesem Moment gab sie eine Schachfigur ab: Sie sagte, was ich hören wollte. Na also! triumphierte ich im stillen und wagte mich, durch meinen Erfolg ermutigt, weiter vor: ,C' était quand, si je peux me permettre?' Das ließ sie mir natürlich nicht durchgehen: ,Je crois que tu veux en savoir un peu trop', hielt sie sich graziös bedeckt. ,Überhaupt, was macht das schon für einen Unterschied?' ,Ach, gar keinen!' entfernte ich mich unverzüglich mit leichtfertigem Rösselsprung, verlor dabei meine gute strategische Position und machte zu allem Überfluß noch einen dummen Fehler."

Überhaupt: Zu einem guten Stück ist es der Dialog, der in "Madame" die Handlung vorantreibt, Gespräche sind dem Jungen ein Mittel, das Leben und Umfeld der Madame zu erforschen. Und, so viel sei verraten, er bleibt in seinen Bemühungen nicht wenig erfolgreich.

Seitenlange Monologe, wie der eines Romanistiklehrers über sein Leben als Student und junger Gelehrter, machen andererseits die Zeit bis zum nächsten Eroberungsschritt des Jugendlichen in Richtung weiblicher Erhörung etwas lang - doch auf knapp 500 Seiten darf auch für solche Episoden des Verharrens Platz sein.

Der Autor Antoni Libera hat das Alter, in dem heute auch sein jugendlicher Protagonist sein müsste. Er arbeitet in Warschau als Theaterregisseur, Kritiker und Übersetzer. Sein erster Roman, "Madame", wurde 1998 im Znak-Literaturwettbewerb als bester polnischer Roman ausgezeichnet. Auch im Ausland möchte man diesem Buch ein großes, enthusiastisches Publikum wünschen.

Titelbild

Antoni Libera: Madame. Roman.
Übersetzaus dem Polnischen von Karin Wolff.
dtv Verlag, München 2000.
496 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3423242221

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