Florentin findet keine Lucinde

Ein Sammelband über Bi-Textualität und Pa[ar]thologie ehrt Ina Schabert

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein schreibendes Paar, so Sylvia Mieskowski, sei "jene Konstellation", die "sinnliches Begehren mit kreativ umgesetztem Erkenntnisdrang in sich vereint". Diese prägnante Formulierung findet sich in einem Buch zu Ehren Ina Schaberts, das Annegret Heitmann, Sigrid Nieberle, Barbara Schaff und Sabine Schülting unter dem Titel "Bi-Textualität" herausgegeben haben. In ihm wird die Leiterin des renommierten Münchner Graduiertenkollegs "Geschlechterdifferenz und Literatur" und Herausgeberin der gleichnamigen Buchreihe von KollegInnen sowie SchülerInnen und Gästen des Graduiertenkollegs als gendertheoretisch orientierte Literaturwissenschaftlerin und Anglistin gewürdigt.

"Schreibende Paare", erklären die Herausgeberinnen den titelstiftenden Terminus in der Einleitung näher, setzen sich in ihren Texten selbst in Szene. Daher sei Bi-Textualität nicht nur "in hohem Maße selbstreflexiv", sondern das Paar figuriere zudem "paradoxerweise" zugleich als Ursprung der Bi-Textualität und auch als dessen Produkt. Durch die auf das "problematische und störanfällige" Verhältnis zwischen "Schreib- und Geschlechtsakt" verweisende Konnotation von "Bi" erfahre der Begriff eine "zusätzliche Aufladung, die in der "lautliche[n] Nähe" zu Bisexualität spielerisch mitschwinge, ohne dass er jedoch "Doppelgeschlechtlichkeit" im "biologistischen Verständnis" meine oder auf die "sexuelle Präferenz" ziele. Gleichwohl umfasse das "Kunstwort" mehr als nur die Beziehung schreibender Paare: Es sei auch "Klammer für all das", was deren Konstellation "im Spannungsfeld von Lebenswelt und textueller Verfasstheit" kennzeichnet. So verweise 'Bi' etwa sowohl auf eine Kommunikation, die nicht erst zwischen "Autorin und Leser" anzusetzen sei, sondern bereits Teil der Herstellung des Textes sei. Mit dem Untertitel "Inszenierung des Paares" werde schließlich ein "konstruktivistischer Blick" auf die Paarbildung gerichtet, der nicht nur die jeweiligen lebensweltlichen Kontexte historischer Paare untersuche, sondern ebenso die "speziellen Formen ihrer textuellen Repräsentation" - insbesondere die "spezifische Verfaßtheit des Dialogs" und die Konstruktion der Geschlechterrollen.

Nach einer launigen, von Hadumod Bußmann verfassten "Femmage" an die Geehrte befragen die ganz überwiegend germanistischen oder anglistischen Beiträge die "Konstruktion und Relativierung der Geschlechterordnung" in der Literatur. Eine Ausnahme bildet etwa der den Band beschließende Aufsatz von Tobias Fabricius, in dem er die "Pa[ar]thologie" männlicher "Homosozialität" in David Finchers Film "Fight Club" untersucht.

Es fällt schwer, den ein oder anderen der fast ausnahmslos lesenswerten Texte hervorzuheben. Genannt seien jedoch Mieszkowskis kluge Analyse von Antonia Byatts komplexem Roman "Possession" sowie Claudia Öhlschlägers erhellende Untersuchung zu Schnitzlers erzähltechnisch vielschichtigem "Tagebuch der Redegonda", einer, wie die Autorin feststellt, "Hommage des Dichters an sich selbst", an der sie Bi-Textualität als Konkurrenzverhältnis zwischen "männlicher Rede" und "weiblicher Schrift" sowie als "erzähltechnische Doppelbödigkeit" aufweist. Und last but not least sei Barbara Becker-Cantarinos vergleichende Untersuchung von Friedrich Schlegels "Lucinde" und Dorothea Veits "Florentin" genannt, in der sie sich nachdrücklich gegen Interpretationen der "Lucinde" als Dekonstruktion der Geschlechterrollen wendet. Die Autorin weist vielmehr nach, dass Schlegel ganz im Gegenteil die traditionellen Geschlechterrollen sowohl in der Fiktion als auch im Leben prolongiert, und dass es sich bei Schlegel und Veit um eine der üblichen ungleichen Paarbeziehungen handelt, in der Veit ihre Gefühle und schließlich sich selbst für das Werk Schlegels opfert, wie viele liebende Frauen von Künstlern und Wissenschaftlern für ihre geliebten Männer. Auch handelt es sich bei Schlegels "Lucinde" keineswegs um eine Geschlechterutopie, wie Becker-Catarino hervorhebt. Vielmehr verstärkt das "Androgynie-Konstrukt" des Buches "nur das männliche Subjekt Julius", während die Frauenfiguren "marginalisiert oder als 'Lichtbringerin' Lucinde idealisiert" werden. Veits Roman "Florentin", so die Autorin weiter, antworte auf "Friedrichs ästhetisches Konzept" und sei eine, wie sie mit Inge Stephan aufzeigt, "vehemente Einrede gegen androgyne Verschmelzungstheorien". Dabei halte Veit allerdings gerade nicht wie Schlegel an den tradierten Geschlechterrollen fest, sondern parodiere in "ironischer Brechung" den "patriarchalischen Bildungsroman", auf den sie mit einer "die Geschlechtsrollen und Geschlechtergrenzen verwischenden, changierenden Künstlerfigur" antworte. "Florentin", so schließt die Autorin, sei als "Dialog mit Kontrapunkt" zu Schlegels "Lucinde" angelegt. Während sein männlicher Protagonist die "Verschmelzung" und "narzisstische Vereinnahmung" vollzieht, finde Veits Florentin keine Lucinde.

Titelbild

Annegret Heitmann / Sigrid Nieberle / Barbara Schaff / Sabine Schültig (Hg.): Bi-Textualität. Inszenierung des Paares. Ein Buch für Ina Schabert.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2001.
418 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3503049916

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