Wallanders letzter Fall

In Henning Mankells "Die Brandmauer" kommen Terroristen aus Ystad

Von Jan ChristophersenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Christophersen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das soll es nun also gewesen sein. Noch einmal wird der Kommissar Kurt Wallander im südschwedischen Ystad ins Rennen geschickt, um danach sich selbst eine verdiente Ruhe zu gönnen nach all den Verbrechen, die er im Laufe seiner Karriere hat lösen müssen. Er ist müde, fühlt sich alt und verbraucht und den Anforderungen seines Berufs nicht gewachsen. So geht es ihm zwar von Anfang an, Selbstzweifel und offensichtliche Überforderung durchziehen wie ein roter Faden jeden dieser Romane. Doch nun geht es wirklich nicht mehr. Seine gefährlichen Einzelgänge nehmen überhand und er muss sich eingestehen, dass seine Empfindlichkeiten zugenommen haben. Immer öfter reagiert er unkontrolliert und bringt sich und andere in Gefahrensituationen; Frauen bekommt er auch keine ab. Ein echter Wallander-Roman ist es wieder, aber es ist der letzte, wie sein Autor Henning Mankell verkündet hat. Linda, die Tochter des Kommissars, wird voraussichtlich seine Nachfolge übernehmen.

Der Fall, mit dem es Kurt Wallander in "Die Brandmauer" zu tun hat, scheint zu Beginn keiner zu sein. Ein unbescholtener Mann, der als Computerexperte für verschiedene Unternehmen tätig ist, stirbt eines Nachts beim Ausdrucken seiner Kontoauszüge eines offenbar natürlichen Todes. Dem Vorfall wird zunächst keine größere Aufmerksamkeit geschenkt. Anders verhält es sich mit dem Mord, den zwei junge Frauen auf brutale Art und Weise an einem Taxifahrer begehen. Die Kälte dieser Mädchen und das vollkommene Fehlen jeglichen Schuldgefühles erschrecken Wallander und seine Kollegen gleichermaßen: sie können sich dieses Verhalten nicht erklären. Erst nach weiteren mysteriösen Ereignissen deutet sich ein Zusammenhang zwischen den Vorfällen an, und etwas Größeres, das dahinter verborgen liegt.

Es ist - wie meistens bei den Wallander-Romanen - eine internationale Verzahnung des Geschehens, die diesmal ins afrikanische Angola weist, und das Bindeglied befindet sich offenbar in dem Computer eines verstorbenen Experten. Durch die Hilfe eines jungen, vorbestraften Hackers, der die "firewalls", welche den Inhalt des Computers vor unbefugten Zugriffen schützen sollen, zu durchbrechen versucht, verdichten sich die Hinweise auf einen bevorstehenden terroristischen Anschlag, dessen Ziel jedoch lange, allzu lange unklar bleibt. Ein Wettlauf mit der Zeit setzt ein, bei dem der Leser stets einige Schritte Vorsprung vor den ermittelnden Polizisten hat. Doch trotz dieses Vorsprungs und obwohl man ruhig erwarten darf, dass es am Ende irgendwie gut ausgehen wird, bleibt die Spannung erhalten. Denn selbstverständlich scheint dieser Ausgang in bester Krimimanier bis kurz vor Schluss nicht zu sein.

Darin liegt die Stärke Henning Mankells, der sich erstaunlich gut darauf versteht, rätselhafte und daher bedrohliche Stimmungen zu schaffen. Und dieser Vorzug überschattet eindeutig manchen Nachteil, den man ihm ankreiden könnte. So führt seine ansonsten schnörkellose und durchaus prägnante Sprache mitunter zu ungewollter Komik, wenn es etwa beim plötzlichen Tod des Computerexperten heißt: "Ihm war es, als habe ein Pferd ihn getreten." Dann jedoch, wenige Zeilen später, folgt eine Beschreibung, die wiederum Mankells stilistisches Können unter Beweis stellt: "Als sein Kopf auf dem kalten Asphalt aufschlug, erlebte er einen Moment der Klarheit. Sein letzter Gedanke war, dass er nichts begriff."

Spannung allein dürfte aber nicht den Erfolg dieser Romane erklären. Spannend schreiben können andere Krimiautoren ebenfalls, sie können es unter Umständen sogar eleganter als Mankell. Aber die haben keinen Kurt Wallander mit seinen Neurosen, seinem Draufgängertum und dieser alles umfassenden Melancholie. Man ist beinahe gezwungen, sich mit ihm zu identifizieren oder ihm zumindest mit Anteilnahme auf seinen Irrwegen und bei den Versuchen zu folgen, wenn schon nicht im Beruf, so doch wenigstens im Privatleben etwas Ruhe und Ordnung zu finden. Doch vor allem nimmt man ihm die Verzweiflung über die ihn umgebende Gesellschaft ab. Zusammen mit ihm fragt man sich, woher diese Gewaltbereitschaft kommt, die bereits Jugendliche erreicht. Wie kommt es, dass die Verbrechen, die vor wenigen Jahren noch den Großstädten vorbehalten schienen, nun auch in der Provinz auftreten? Seine Resignation über die abhanden gekommenen Unterschiede und die damit einhergehenden Folgen lässt sich teilen. "Ystad liegt mitten in Schweden", resümiert er: "Bald liegt es auch mitten in der Welt."

Eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft dieser Bücher mag darüber hinaus ausschlaggebend für ihre breite Leserschaft sein. Sie sind zum Teil erschreckend aktuell, was bei "Die Brandmauer" insbesondere nach den Anschlägen in Amerika auffällt. Denn in diesem 1998 in Schweden veröffentlichten Buch werden bereits die Motive behandelt, die im Moment allerorten verhandelt werden. Mankell gibt dabei keine einfachen Erklärungen, die dann ein Gefühl der Sicherheit hinterlassen könnten. Er beleuchtet vielmehr einen Teil der Psyche, die jemanden zu derartigen Taten überhaupt erst befähigt, aber bagatellisiert es nicht, indem er es einfach benennt. Fanatischer Glaube, wie er der Hintergrund für die Anschläge vom 11. September war, ist eben nur eines von vielen möglichen Motiven. Daneben gibt es andere, die nicht weniger beunruhigend sind.

Diese Weitsicht Henning Mankells und seine Fähigkeit, sie in spannenden Geschichten zu transportieren, bewahrt ihn vor dem Vorwurf, allzu moralinsauer daherzukommen. Ihn treibt ein Anliegen, das nicht zu verachten ist, wenn man etwas zu sagen hat. Schreibend möchte er auf die Entwicklung der Gesellschaft einwirken, hat er mehrmals öffentlich geäußert. Bleibt abzuwarten, ob er sein Ziel mit der bei Literatur üblichen Verzögerung erreicht.

Titelbild

Henning Mankell: Die Brandmauer. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2001.
576 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3552051686

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