Soziologische Luftaufklärung

Über Peter Fuchs' Zumutung der "Metapher des Systems"

Von Thomas KrummRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Krumm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er wohnt, wo kein lebender Mensch wohnen kann: an der Mauer zur letzten Latern", sagt der Erzähler in Meyrinks "Golem" über den Gemmenschneider Athanasius Pernath, nachdem er durch das Tragen seines Hutes in dessen Gedankenwelt eingetaucht ist. Auch Fuchs bewohnt einen theoretischen Raum, wo kein lebender Mensch wohnen kann, ein "Zimmer ohne Zugang": weder Subjekt noch Objekt, weder System noch Umwelt, weder Innen noch Außen, weder Hüben noch Drüben. Ein Bewohner der Differenz also. Ein sehr unwirtlicher Platz, den sich der Autor ausgesucht hat. Aber er liebt nach eigenem Bekunden Komplikationen und Bizarrerien, versteht es, das Licht der "letzten Laterne" zur Beobachtung des gerade noch Sichtbaren zu nutzen. Mancher Leser wird dort, wo er noch Sinn sieht, nur noch Bizarres entdecken. Dies kennzeichnet die Unwirtlichkeit des Ortes, an dem es kein Sein gibt und an dem Fuchs sich trotzdem oder gerade deswegen niedergelassen hat.

Fuchs' Thema ist nicht erst seit der "Umschrift" (1995) die soziale Formatierung des Bewusstseins. Er sieht Bewusstsein in der paradoxen Lage, dass es bei allem, was es beobachtet, also auch bei sich selbst, auf "sozial angeliefertes Unterscheidungs- und Bezeichnungspotenzial", also auf fremde Mittel zurückgreifen muss. Bewusstsein, das der Systemtheorie so lange fremd geblieben ist, wird von ihm beschrieben als "konditionierte Koproduktion" von Kommunikation, als an Kommunikation gebunden, von Kommunikation abhängig, ohne jedoch determiniert werden zu können. Die Umschrift dessen, was alteuropäisch auf Bewusstsein zugerechnet wurde, auf konditionierte Koproduktion wurde notwendig, weil der Systemtheorie der Gegenstand Bewusstsein als elementares, gleichberechtigtes Phänomen abhanden gekommen ist. Das Bewusstsein residiert quasi nur noch, so könnte man Fuchs zuspitzen, in der Möglichkeit zur Annahme oder Ablehnung der sozialen Zumutungen. Er überschreitet in diesem Punkt Luhmanns Zurückhaltung erheblich. Das Ergebnis wirkt oft bizarr.

Die Thematik, derer sich Fuchs im Titel angenommen hat, war längst überfällig. Habermas hat der Systemtheorie bereits vor Jahrzehnten vorgeworfen, die Rede von der Liebe als einem Medium sei "hoffnungslos metaphorisch". Fuchs nimmt sich nun der Metapher des Systems an. Gleich zu Beginn aber werden wir dunkel gewarnt: "Die Metapher des Systems reicht weit, wie man heute wissen kann. Das Metaphorische an der Metapher aufzulösen, das kann wahrscheinlich nur heißen, andere Metaphern zu erzeugen, Steigerung von Ungewissheit statt deren Verminderung. Am Ende bleibt einem nur die Religion".

Trotz dieser wenig aufmunternden Einschätzung wird die Metapher des Systems als Differenz zu entfalten versucht. Man könnte dieses Vorgehen auch als Okkultation der Metapher des Systems beschreiben. Das System tritt dann in Erscheinung als Raum, als Ort, als Innen eines Aussen eines Innen usw., als die Welthaftigkeit der Umwelt des Systems, die unter jedem Bezeichnungsversuch wieder davongleitet und damit als eine Art "Hintergrundsunbestimmtheit" erscheint oder im Bild des Systems, das nur im Wege eigener vollständiger Unterscheidungen Unvollständigkeit und Alterität abbilden kann. Die Unterscheidung evoziert dabei die Vorstellung eines Unterscheiders, eines Selbst oder gar Subjektes der Unterscheidung. Selbst Autopoiesis scheint durch ein Selbst betrieben zu werden, in dem Reste von Subjektheit und Eigentlichkeit überwintern könnten. Folglich werden von Fuchs im nächsten Schritt Gesellschaft und Bewusstsein als extime Systeme beschrieben. Extime Systeme sind für Fuchs selbstlose Systeme. "Sie sind keine Subjekte, keine separierten Einheiten im klassischen Sinne. Sie sind nicht-cartesische Unjekte". Sie werden, und das wirkt semantisch etwas unsauber, durch Subtraktion, durch eine Definition ex negativo gewonnen. Die Unterscheidung einer Extimität soll darauf hinauslaufen, "daß das Selbst der Beobachtung verschwindet. Die provokante Formulierung dafür wäre: Extime Systeme sind selbstfreie Systeme".

An Ende ist Fuchs wieder am Anfang angekommen. Aber was ist dazwischen geschehen? Aus der Feststellung "es gibt Systeme" ist bei ihm "es beobachtet, also ist es" geworden. Die vollständige Okkultation der Vorstellung einer Selbstheit von Systemen, die Löschung der Metapher des Systems will Fuchs dennoch nicht gelingen.

Was ist mit dem Versuch der Aufklärung über die Metapher des Systems gewonnen? Wenig, wenn man das Ausmaß berücksichtigt, in dem hier lediglich ein Austausch von Metaphern stattfindet. Ob Fuchs tatsächlich auf die Anschlussfähigkeit seiner manchmal semantisch sehr experimentell gestalteten Innovationen wie die "Unjekte", das "System als Container", das "Sinn-Rizom" der Gesellschaft, die "springenden Sinneinschnürrungen", die "schwarzen Löcher des Sozialen", der "Kommunikation als freier Pfropfung", und die glatten und gekerbten Unterscheidungen hofft, bleibt fraglich. Man gewinnt den Eindruck, sie sind primär für den internen Gebrauch eines Bewusstseins bestimmt, das sein Denken in immer unwahrscheinlichere, abgehobenere Zustände treiben will. Es stellt sich die Frage, wovon das Metaphorische unterschieden wird, in welcher Unterscheidung es fungiert. Der Makel der Metapher ist ja das Odium des Vorbegrifflichen. Es stellt sich auch die Frage, ob sich mit dem Metaphorischen nicht Vorstellungsleben in die Kommunikation drängt, sie quasi nach den Regeln der Metapher formatiert. Insofern, als man die Imagination dem Psychischen zuordnen kann, könnte man dann auch von einer - durch die Metapher mediatisierten - psychischen Formatierung des Sozialen sprechen.

Am Ende gewinnt man den Eindruck, dass Fuchs eine Liebesgeschichte geschrieben hat. Er ringt mit dem System wie Jakob mit dem Engel. Es ist keine romantische, sondern eine diabolische Liebe. Fuchs ist zwischen Unerreichbarkeit und Unnegierbarkeit des Systems zerrissen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig als die Circumambulatio des Systems, die sich genau mit dieser Unerreichbarkeit und Unnegierbarkeit arrangiert hat. Dabei stößt er immer wieder auf die Notwendigkeit der Systembegrifflichkeit für seine Art des Denkens. Sie ist als Letztvokabular selbst nicht kontingent, nicht negierbar, so sehr Fuchs auch die Methode der Streichung probiert. Die Metapher des Systems wird zum Reflexionsstopp, das Leiden daran zwingt Fuchs zu immer neuen Luftaufklärungen, die aber keine Erleichterung bringen. Denn das System (der Beobachter) kann nur sehen, was er im Spiegel einer Unterscheidung sehen kann - und auch das kann er nur im Spiegel einer Unterscheidung sehen, quasi als "Ereigniskonstruktion post festum, in der differance". Fast resigniert stellt er am Ende fest: "Man kann tatsächlich überraschend und mitunter bestechend reden, wenn man sich erst einmal in die Welt der Systeme hineingeschwungen hat. Die tiefe Voraussetzung dafür ist aber, daß das Metaphorische des Systems vergessen, ausgeblendet wird, im blinden Fleck der Theorie verschwindet, die nicht registriert, daß sie aufgrund ihrer eigenen Voraussetzungen gebarrte Theorie ist." Fuchs stößt immer wieder auf das Paradox, dass er sich dem "unentwegte[n] Schwatzen", das er in die Welt gelegt sieht, nicht entziehen kann. Schweigen ist für ihn nur die Fortsetzung der Kommunikation mit anderen Mitteln, der nonverbalen Enttäuschung von Kommunikationserwartungen. Auch durch Schweigen kann er sich der kommunikativen Welt der Systeme nicht entziehen.

Die Komplikation seiner Argumentation wohl ahnend, hat Fuchs eine Nachbemerkung angehängt, in der er seine Absicht noch einmal klarstellt, "das Netz der Metapher auszuwerfen, um Begriffe zu gewinnen, die dann wieder zusammengeschnurrte Metaphern wären. Es käme dann darauf an, die Metapher des Systems nicht zu verwerfen, weil sie Metapher ist, sondern das in ihr unausgedrückt Ausgedrückte gleichsam so schwingend zu halten, daß das Abenteuer erhalten bleibt, in dessen Kontext der Systembegriff so dominant, so unausweichlich geworden ist." Es ist dieser Gegensatz von Unausweichlichem und Vorläufigem, Vorbegrifflichem des Systems, der Fuchs umtreibt und zu immer neuen metaphorischen Umschreibungen für ein hoffnungslos metaphorisches Arrangement inspiriert.

Titelbild

Peter Fuchs: Die Metapher des Systems. Studien zu der allgemein leitenden Frage, wie sich der Tänzer vom Tanz unterscheiden lasse.
Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2001.
268 Seiten, 35,30 EUR.
ISBN-10: 3934730302

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