Mit Goethe durch das Jahr VI

Wir wollen auch vom Goethe-Jahr profitieren, dürften sich viele Institutionen gedacht haben, die angetreten sind, das Jahr 1999 zur Gewinnmaximierung zu nutzen, darunter natürlich die Verlage. Abseitiges und Einschlägiges, Bizarres und Komisches, Überflüssiges und Verdienstvolles ist heuer bereits erschienen oder wird noch erscheinen, und nicht immer ist auf den ersten Blick zu entscheiden, ob die Neuerscheinung eine Rezension lohnt oder nicht. Goethe sei "in seinem Jubiläumsjahr wesentlich ein Medienereignis", schreibt Gerhart Pickerodt in seiner Rezension von Nicholas Boyles Goethe-Biographie, "ein allenfalls an der Oberfläche demokratisch akzentuiertes Event, kommerziell und gesellschaftlich ausgebeutet bis zum Exzeß und bis zur Karikatur, wofür das Werk nur noch als Alibi dient."

Die Goethe-Mania führt dazu, daß auch vieles Ältere wieder aus der Versenkung hervorgeholt wird, darunter ein Band zu Goethes "äußerer Erscheinung" sowie eine Einführung von Friedrich Sengle aus den sechziger und siebziger Jahren, angeblich "die überlegenste Goethe-Interpretation" (Manfred Windfuhr), die zur Zeit greifbar ist. Geret Luhr deutet in seiner Rezension an, daß diese Einschätzung ein wenig durch den Wind sei: Denn aus Sengles Arbeit spricht noch die Begeisterung für Friedrich Gundolf und die Goethe-Rezeption des George-Kreises. Sie ist zwar methodisch gewissenhafter als noch Gundolf, aber sie pflegt eine Wissenschaftssprache, die heute passé ist.

Wer nachlesen möchte, wie sonderbar mitunter die Fragestellungen und die wissenschaftlichen Redeformen der Goetheforschung waren und sind, der sei auf das Buch von Oliver Schmitt und Jürgen Jonas verwiesen. Ihr Buch, im Umkreis der Satirezeitschrift "Titanic" und der Neuen Frankfurter Schule entstanden, versammelt "Bizarres und Behämmertes aus 250 Jahren deutschen Goethetums"; es ist lehrreich, auch wenn es selber keine Systematik und kein gediegenes Erkenntnisinteresse entwickelt. Da ist Robert Gernhardt schon von anderem Kaliber, der seit einiger Zeit als Lyrikwart auftritt und in seiner Rezension nach schlechten Goethe-Gedichten fahndet - eine magere Ausbeute. Diverse Rezensionen zu einem interdisziplinären Forschungsband, zu Metzlers Goethe-Handbuch, zu zwei wohlfeilen Werkausgaben und zu einem Amuse-Gueule aus der Feder von F. W. Bernstein runden unseren Goethe-Schwerpunkt ab. Ein Goethe-Lexikon, das wir in dieser Ausgabe besprechen wollten, wird sich womöglich als Plagiatsfall erweisen. Die Prüfung steht noch aus, das Ergebnis lesen Sie in der kommenden Ausgabe von literaturkritik.de.

Lutz Hagestedt