Bücher zum Film

Heinrich Breloers und Horst Königsteins Dokumentationen ihrer TV-Serie zur Familie Mann

Von Julia SchöllRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schöll

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit Dezember ist es nun amtlich im öffentlich rechtlichen Sinne: Drei Spielfilme sowie drei Fernsehdokumentationen von Heinrich Breloer und Horst Königstein haben die Familie Mann endgültig als deutsches Denkmal, als nationale Legende installiert. Wie schon in ihren anderen Fernsehspielen (u. a. zum "Beil von Wandsbek", zu Wehner oder zur Barschel-Affäre) haben sich Breloer und Königstein auch diesem Thema in der für sie typischen Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm genähert: Mit hochkarätigen Schauspielern besetzte Spielfilmepisoden werden immer wieder durch reale Interviewszenen und Originalfilmdokumente aus der jeweiligen Zeit unterbrochen und ergänzt. Dieses Prinzip strukturiert auch die drei Dokumentarfilme der Reihe, nur stehen hier die Zeitzeugeninterviews im Vordergrund und fiktive Szenen aus den drei Spielfilmen werden nur gelegentlich dazwischenmontiert. So entsteht ein Puzzle aus Fakten und Fiktion, das eine große Suggestivkraft entwickelt.

Diese Filme sind ein ebenso unterhaltsames wie gewagtes Projekt. Sie basieren wesentlich auf Interviews, die vor allem Heinrich Breloer mit Familienmitgliedern, Freunden, Kollegen und Bekannten der Manns geführt hat, wobei auch älteres Material miteinbezogen wurde. Im Zentrum steht Elisabeth Mann-Borgese, die einzige noch lebende Tochter Thomas Manns, die in der Funktion einer Erzählerin zusammen mit Breloer auf den Spuren ihrer Familie durch die ganze Welt reiste. Hinzu kommen Werk-, Brief- und Tagebuchzitate, mit denen der Regisseur auch seine Interviewpartner immer wieder konfrontiert. Breloer und Königstein wissen um die verführerische Kraft der Bilder, ihre Arbeit, so schreiben sie, habe "einen Adressaten: den Zuschauer, der sich vom inszenierten Lebensreichtum, von der Nähe zum Authentischen einfangen lässt." Ihre Arbeit ist eine Gratwanderung: zum einen sollen sie ein Millionenpublikum drei Abende lang unterhalten, zum anderen wollen sie die "Darstellungstreue, die Wahrheit der Charaktere" nicht aus den Augen verlieren.

Breloer und Königstein lösen das Problem mit jenem Zusammenspiel fiktiver und realer Szenen, die dem Zuschauer das Geschehen näher bringt, als es ein reiner Spiel- oder Dokumentarfilm könnte. Zugleich untermauert die Zwischenschaltung der Fakten den Wahrheitsanspruch der Fiktion: So muss es wohl gewesen sein. Wie selektiv und subjektiv jedoch die menschliche Erinnerung arbeitet, ist spätestens seit der umfangreichen Forschung zur Verlässlichkeit von Zeugenaussagen bekannt. Auch Breloers Gesprächspartner sind davor nicht gefeit. Dass man dieses Problem im Film nicht diskutieren kann, ist evident. In dem Interviewband, den Heinrich Breloer nun parallel zu den Filmen veröffentlicht hat, wäre es jedoch möglich und wünschenswert gewesen. Doch hier merkt Breloer nur lapidar an: "Ob die von uns befragten Zeitzeugen sich immer richtig erinnerten - das konnte und sollte nicht im Einzelnen nachgeprüft werden". So sprechen die Interviews für sich selbst - was dem versierten Forscher recht sein mag. Ob der durchschnittliche Thomas Mann-Leser sich daraus ein schlüssiges Bild zu basteln weiß, bleibt dahingestellt.

Zwei Bücher haben die Regisseure dem Erfolg ihrer Mann-Filme mitgegeben: Im Band "Unterwegs zur Familie Mann" sind die wichtigsten Interviews dokumentiert, unter dem Titel "Die Manns. Ein Jahrhundertroman" ist die Spielfilmhandlung zusammengefasst. Die problematischere Form ist sicherlich die letztere. Von einem Roman im eigentlichen Sinne kann nicht die Rede sein. Eher handelt es sich um eine szenische Nacherzählung der Filmhandlung, eine Art ausformuliertes Drehbuch, das zudem die Regieanweisungen in einen Fließtext einarbeitet. Welche Gedanken und Gefühle die jeweilige Szene tragen sollen, ist hier festgehalten. So werden auch die stummen Szenen des Films 'sprechend' gemacht. So zum Beispiel die Szene, die Thomas Mann beim Auspacken der aus Nazideutschland geretteten Kisten zeigt, mit deren Inhalt er im Schweizer Exil sein Arbeitszimmer einrichtet: "So hatte es sich schon Friedrich Schiller eingerichtet. Ein Teil nach dem anderen hebt er vorsichtig aus den Fächern, wickelt es aus, schaut es sich an - begrüßt den Savonarola, den Elefantenzahn, die Wächterfiguren und kleinen Götterstatuetten mit so viel kindlicher Freude, als ob er alte Freunde wiedersähe." Der Text versucht, den Film wiederzugeben und zugleich das, was der Film nicht zeigen konnte. Auch hier werden die passenden Interviewszenen oder Stellen aus dem Werk dazwischenmontiert. Die Szenen sind ausführlicher und detailreicher ausgeführt als im Film, und auch Teile, die im visuellen Endprodukt nicht oder nicht mehr vorhanden sind, tauchen hier auf. Das alles liest sich einfach und schnell, aber nicht schön und ist wohl eher für denjenigen interessant, der die Filme kennt und nun die eine oder andere Szene noch einmal nachlesen möchte. Ein "Buch zum Film" eben. Bebildert ist das Ganze mit einer Mischung aus Szenenbildern des Films und Originalfotografien. Auch hier vermischen sich Fakten und Fiktion, denn auf erklärende Bildunterschriften wurde verzichtet. So bleibt dem weniger versierten Leser nur ein Hinweis: bis auf wenige Ausnahmen sind die Filmbilder farbig, die zeitgenössischen Fotografien schwarz-weiß wiedergegeben.

Der Band "Unterwegs zur Familie Mann" gibt zumindest einen Teil der zahlreichen Interviews wieder, die Heinrich Breloer während der Recherche für den Film geführt hat. Die Reise mit Elisabeth-Mann Borgese wird hier nachgezeichnet, außerdem werden die Begegnungen Breloers mit Klaus Pringsheim junior, Charles Neider, Hilde Kahn-Reach oder Frido Mann festgehalten - um nur einige zu nennen. Interviews mit insgesamt zwölf Gesprächspartnern wurden für den Band aufgezeichnet und nur wenig bearbeitet, um den ursprünglichen Charakter der Unterhaltung möglichst genau zu dokumentieren. In diesem Buch lässt sich auch für versierte Kenner der Familie Mann Neues finden - wenngleich hier, ebenso wie in den Filmen, der Schwerpunkt auf Thomas und Klaus Mann liegt. Die Vorliebe der Regisseure für die Figur des ältesten Sohnes Thomas Manns erklären sie selbst durch ein Filmprojekt zu seiner Person, für das sie vor einigen Jahren ausführlich recherchierten und das ihren ersten Zugang zur Familie Mann darstellte. Warum Thomas Mann so viel mehr Raum eingeräumt wird als etwa seinem Bruder Heinrich, der im Film weniger als Autor denn als Lebemann und Gatte einer skandalträchtigen Frau eine Rolle spielt, bleibt unklar. Tatsache ist: Der Autor der "Buddenbrooks" ist für Breloer und Königstein die "Jahrhundertgestalt", der Dreh- und Angelpunkt dieser ungewöhnlichen Familie.

Im Fall Thomas Manns sind es im vorliegenden Band vor allem die Erinnerungen seiner ehemaligen Sekretärin Hilde Kahn-Reach, die das Buch - wie auch die Filme, besonders den dritten Teil der Dokumentationen - zu einer Fundgrube machen. Sie verfügt über das, was vielen anderen Zeitgenossen abgeht, die über Thomas Mann geurteilt haben: die richtige Mischung aus Distanz und Nähe. Sie kannte ihn und das Familienleben gut, stand aber dennoch immer abseits. Da sie mit niemandem aus der Familie konkurrierte, erscheint ihre Darstellung als eine der unbefangensten. Auch der amerikanische Schriftsteller und Publizist Charles Neider, der als junger Autor Thomas Mann kennenlernte und später eng mit Klaus Mann zusammengearbeitet hat, gibt erfreulich unprätentiös Auskunft. In seiner Darstellung erscheint Klaus nicht nur als ein Getriebener zwischen homoerotischen Abenteuern und Drogenexzessen - als der er auch in Breloers und Königsteins Filmen gezeigt wird, abgesehen vielleicht von seiner Zeit als amerikanischer Soldat -, sondern als der junge Autor, Redakteur und Herausgeber der Zeitschrift "Decision": "Gewandt, umgänglich, sehr umgänglich, attraktiv, gut gekleidet", der sich auch nicht geniert, das Manuskript seines Vaters radikal zu redigieren.

Am Interview mit Neider zeigt sich, wie auch an anderen Stellen, die Schwäche von Breloers Arbeit: Es wird deutlich, wie Breloer die Homosexualität - die unbestritten eine nicht unwichtige Rolle für den Autor spielte - zum tragenden Leitmotiv von Thomas Manns Leben stilisiert. Nachdem Neider, der Thomas Mann als sehr offen und nett erinnert, erzählt hat, dass dieser ihn einmal "Darling" genannt hat, versucht Breloer, daraus eine homoerotische Begehrlichkeit des deutlich älteren Thomas Mann zu konstruieren. Als Neider wenig später berichtet, er, der vierzig Jahre Jüngere, habe Thomas Mann sogar gelegentlich einen guten Rat gegeben und sich im Nachhinein wundert, wie er das wagen konnte, hakt Breloer ein: "Er wollte Sie Darling nennen. Charles Neider lacht. HB: Darum ging es doch. CN: Vielleicht. HB:... nicht um einen guten Rat." Bis Neider die Sache schließlich entschieden beendet: "Wie dem auch sei, dieser 'Darling' war jedenfalls sehr streng, wenn er einen Rat gab." Die angebliche Homoerotik der Szene wird hier nur durch den Interviewer ins Spiel gebracht, Neider selbst sagt davon kein Wort.

Nun mag es so sein, dass oft die Wahrheit erst durch konsequentes Nachfragen ans Licht kommt - und dies gelingt Breloer auch in vielen Fällen mit seiner beharrlichen, aber sensiblen Art. Doch er setzt sich zugleich der Gefahr aus, das, was er hören möchte, selbst in die Gespräche hineinzutragen. Im Bezug auf die Thomas Mann immer wieder unterstellte Kälte und Einsamkeit fragt er Elisabeth, die den Vater keineswegs als abweisend erlebt hat: "Ist Ihnen das eigentlich aufgefallen, dass da sein Grundproblem lag?" - als wäre der Grundtenor dieses Lebens nicht erst zu klären. So neigt Breloer auch dazu, seine oft suggestiven Fragen als Feststellungen zu formulieren, die dann vom jeweiligen Interviewpartner nur noch bestätigt werden müssen.

Diese Einwände ändern jedoch nichts daran, dass Breloer ein besonderes Gespür für Menschen und Situationen hat. Als Gesprächspartner gelingt es ihm meist, eine vertrauensvolle Atmosphäre ohne Sensationslust zu schaffen und sein Gegenüber zum Reden zu bringen. So schmälert die Kritik an seiner Arbeit auch nicht das Verdienst Breloers, hier, oft im letzten Moment, wertvolle Zeitzeugnisse aufgezeichnet zu haben. Hilde Kahn-Reach etwa ist mittlerweile verstorben, ebenso Klaus Pringsheim junior, der Adoptivsohn von Thomas Manns Schwager. "Ich hatte Glück mit meinen Gesprächspartnern, und sie vielleicht auch mit mir", schreibt Breloer im Vorwort zu seiner Interviewsammlung. Glück hat vor allem auch der Leser, dem dieses Material nun zur Verfügung steht.

Titelbild

Heinrich Breloer / Horst Königstein: Die Manns. Ein Jahrhundertroman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
478 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3100052307

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Heinrich Breloer: Unterwegs zur Familie Mann. Begegnungen, Interviews, Gespräche.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
558 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3100052315

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