Bekanntes Neuland

Raoul Schrott bebildert die Sprache

Von Robert HabeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Habeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn ein Lyriker seinen Gedichtband "Tropen" betitelt und diesen Titel mit dem Zusatz "Über das Erhabene" versieht, fokussiert er die Lektüre vor. Man sucht hinter der Poesie die Poetologie. Heißt dieser Lyriker auch noch Raoul Schrott, der nebenberuflich mit einer Arbeit über "Poetische Strukturen von der griechischen Antike bis zum Dadaismus" habilitierter Romanist ist, wird es fast unmöglich, die Gedichte seines neuesten Bandes nur um ihrer selbst willen zu lesen. Vielmehr wird verstaubtes akademisches Wissen aktiviert, um herauszufinden, auf welche Form des Erhabenen sich der Dichter bezieht. Meint er das postmoderne Synonym für das der Vernunft Inkommensurablen oder bezieht er sich auf den karthetischen Moment höchster emotionaler Regung der griechischen Poetik? Und wie verhält sich sublimes Empfinden zu tropischer Sprache, wurde doch die Trope als abbildhafte Annäherung der Sprache an eine zu schildernde Welt mit Metapher und Wie-Vergleichen von Feuilleton und Akademie zwei Dekaden lang unverdrossen verabschiedet. Erhabenes Unbegreifbares und tropische Bebilderung der Sprache sind jedoch ein Widerspruch, den Schrott aushält und eingeht: "unter den fingern zerfällt der abend/ wie verbranntes papier · und der himmel zu asche/ die hand die schreibt ist immer zu langsam".

Die Titel der Gedichte, gelehrte Vorworte, Nachworte und erklärende Anmerkungen geben einer Fragerichtung, die die poetologische vor der poetischen Qualität sucht, weitere Nahrung. Wie in einem Lehrbuch sind die Poeme "Physikalische Optik" oder "Figuren" überschrieben und mit römischen Ziffern numeriert. "Werke und Tage" zitiert Hesiod, "Eine Geschichte der Berge" Petrarca, Kant und hat eine unendliche Flut von Publikationen zur Kulturgeschichte der Natur im Rücken.

Aber wenn man ohne theoretischen Ballast anfängt zu lesen, sich nicht von der eigenwilligen monolithischen Textgestaltung schrecken läßt, die auf Satzzeichen weitgehend verzichtet und auf Kleinschreibung setzt, stellt man erleichtert fest, daß alles halb so schlimm ist. Die Gedichte setzen an konkreten Alltagsbeobachtungen an, beschreiben die Kälte, das Meer und Hagelkörner, reimen "kinkina-bäume" auf "die letzten räume" und brennen ein Feuerwerk aus Anaphern und Alliterationen ab. "die nußfeigen des aviavy sind bitter auf den ersten biß/und süß erst am schluß · am hügel hinter dem schloß/ trocknet das blut der hähne aus dem geronnen blau". Es ist nicht auszuschließen, daß die theoretische Flankierung der Gedichte sich zu einer kohärenten Poetik schließt. Es ist aber genau so gut möglich, daß sie eine solche nur umspielt, neckt und so öffnet, betont doch der Autor selbst in seinem "Inventarium" genannten Vor- und Nachwort, daß die poetische Sprache manchmal das Gegenteil dessen ausdrückt, was sie vermeintlich zu sagen scheint.

Diese Neubelebung des romantischen Paradoxons wird nicht umsonst bemüht. Sie lizenziert den Griff in alte und älteste Verfahren poetischer Sprache. Daß die Natur ein Buch ist, in deren Kalligraphie der Mensch jedoch keine Antworten findet, daß wir im Wind Stimmen hören und in den Krusten des Lehms Spuren einer anderen Ordnung erkennen, sind so christlich beladene wie aus Angst vor dem Diktat der Moderne lange unberührt gebliebene Vorstellungen. Schrott tastet sie nicht nur an, er greift in die ganze Klaviatur des rhetorischen Arsenals und verbindet eine erdige Sprache geschickt mit den technischen Apparaten heutiger Weltwahrnehmung. "die stahlfeder der strömung spannt sich vom damm/ bis zur boje die sich gegen die donau schiebt".

Schrott pflegt in seinen Tropen den hohen Ton. Das augenblickhafte Momentum der Erkenntnis, das die moderne Lyrik als vermeintlich einzige Rettung vor der Sprachskepsis so lange anstrebte, ist in Schrotts Gedichten zum Bild geronnen. Und die Lyrik Schrotts feiert diese neugewonnene, klassische Anschaulichkeit -im hymnischen Duktus. Entgegen allem Anschein läßt Schrott die Ketten der Literaturtheorie weit hinter sich. So kommt es, daß das erhabene Erlebnis der Naturphänomene wieder zum eigentlichen Gegenüber des lyrischen Ichs wird. Schrotts pathetische Sprache braucht das größtmögliche Gegenüber. Nur angesichts der auratischen Endlosigkeit des "bestirnten Himmels" bleiben ihre Tropen verhältnismäßig.

Titelbild

Raoul Schrott: Tropen. Über das Erhabene.
Carl Hanser Verlag, München 1998.
212 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3446195025

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch