Feministischer Reigen

Ruth Klügers Vortrag über Arthur Schnitzlers Frauenfiguren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was er selbst "in mühseliger Arbeit an anderen Menschen aufgedeckt habe", lobte der Begründer der Psychoanalyse einen zeitgenössischen Schriftsteller in einem Gratulationsschreiben zu dessen 60. Geburtstag, sei diesem "durch Intuition" zugeflogen. Eine etwas zweischneidige Huldigung Freuds, denn der von ihm dergestalt gelobte Arthur Schnitzler war nicht nur Schriftsteller, sondern zudem selbst Arzt, mit den Spezialgebieten Hysterie und Neurasthenie. Ob Freuds Ehrenerweisung nun eine kleine Despektierlichkeit beinhaltete oder nicht, Ruth Klüger ist ganz anderer Auffassung, wie sie im Frühjahr 2000 in einem Vortrag darlegte, sieht sie doch in Schnitzler geradezu den Antipoden Freuds - zumindest, was beider Auffassung des Verhältnisses von Sexualität und Gesellschaft betrifft. Ganz im Gegensatz zu Freud, demzufolge der Trieb die "gesellschaftliche Fassade" entlarve, führe Schnitzler umgekehrt "die Geschlechtlichkeit in jeder Form, Prostitution, Tändelei, Liebe, Ehe auf die gesellschaftlichen Bedingungen" zurück. Behaupte Freud, dass "der Trieb" stärker sei als die "gesellschaftlichen Normen", zeige Schnitzler im "Reigen" das Gegenteil, wie nämlich "jeder und jede in die vorgeschriebenen Fußstapfen steigt, auch dort wo's ums Intimste geht", und führe so eine "Reihe von gesellschaftlich vorgegebenen Reaktionen" vor. Von dieser Feststellung gelangt Klüger zu einer zweiten, weit überraschenderen. In dem Stück werde die Darstellung von Sexualität zur Kritik einer Gesellschaft, in der die "Übervorteilten" die Frauen aus den "niederen Ständen" seien, "die Dirne, das Stubenmädchen". Wer Schnitzlers Stück kennt, wird dem so weit die Zustimmung kaum verweigern; es darum aber als nicht nur "fortschrittlich", sondern als "geradezu feministisch" zu bezeichnen, dürfte bisher nur wenigen eingefallen sein. Warum eigentlich nicht, ist doch Klügers Wertung offensichtlich nicht von der Hand zu weisen. Die Antwort dürfte in Schnitzlers Frauenfiguren zu finden sein, und sie wird implizit von Klüger selbst geliefert, deren zentrale Fragestellung genau um dieses Thema kreist, die Darstellung von Frauen bei Schnitzler. Emanzipierte Frauen, so Klüger, haben in Schnitzlers Romanen und Stücken so gut wie keinen Platz. Eine der wenigen selbstständigen und selbstbewussten Frauen, die als emanzipiert gelten können, ist die sozialdemokratische Politikerin Therese Golowski in "Der Weg ins Freie". Auch Marcolina in "Casanovas Heimfahrt" könnte man vielleicht noch hinzuzählen - besticht sie doch durch "weibliche Klugheit, Schönheit und Gelehrsamkeit" und ist zudem "beredt und gescheit". All dies dient aber nur dazu, ihre "Fallhöhe" nach dem hinterhältigen Betrug umso größer zu gestalten, den sie durch ihren "jungen Liebhaber" und den ältlichen und unattraktiven bis ekelhaften Casanova erfährt: an Stelle des Erwarteten muss sie Letzteren nach gemeinsam verbrachter Nacht in ihrem Bett erkennen. An Marcolina wird zudem deutlich, welche Rolle Schnitzler der Frauenfigur im Allgemeinen zuschreibt: Sie ist nur "ein Pfand im Spiel" der Männer und gleitet "ganz natürlich in die passivste aller Opferrollen". Besonders nachdrücklich demonstriert Klüger das an dem "Ärztedrama 'Paracelsus'", in dem Schnitzler die "absolute Herrschaft des Arztes über die Frau" vorführt. Die Frau selbst ist dabei nur als Funktion in der rivalisierenden Auseinandersetzung zwischen dem Arzt und ihrem Gatten von Bedeutung. "Im Grunde", so Klügers Fazit, das sich in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der jüngst von Jenneke A. Oosterhoff vorgelegten Untersuchung zu "Konstruktionen der Männlichkeit in den Werken Arthur Schnitzlers" befindet (vgl. literaturkritik.de 5/2001), "im Grunde sind Schnitzlers Frauengestalten alle von der Vermittlung der Männer abhängig".

Ruth Klüger: Schnitzlers Damen, Weiber, Mädeln, Frauen. Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt.
Picus Verlag, Wien 2001.
441 Seiten, 8,10 EUR.
ISBN 3-85452-379-3


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Ruth Klüger: Schnitzlers Damen, Weiber, Mädeln, Frauen. Mit einem Vorwort von Hubert Christian Ehalt.
Picus Verlag, Wien 2001.
61 Seiten, 8,10 EUR.
ISBN-10: 3854523793
ISBN-13: 9783854523796

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