Vorbemerkung

Es scheint sich nichts verändert zu haben. Hatte es in den letzten Jahren des vergangenen Jahrhunderts beinahe monatlich verschiedene öffentliche Diskussionen über die deutsch-jüdische Geschichte bzw. die europäische Judenvernichtung gegeben, so setzte sich diese Tendenz bereits in den ersten Tagen des neuen Jahrhunderts fort: Wobei die freche Erfindung „jüdischer Vermächtnisse“ durch den CDU-Prinzen Wittgenstein tief in die Abgründe der konservativen deutschen Seele blicken ließ. Offenbar kommen wir von dem Thema nicht los. Und das wäre, darüber sind sich wohl die meisten inzwischen einig, auch gar nicht wünschenswert. Selbst Martin Walser lobte jüngst, wie man lesen konnte, eine erneute Holocaust-Dokumentation im Deutschen Fernsehen. Auch literaturkritik.de widmet sich nun bereits zum zweiten Mal schwerpunktmäßig der deutsch-jüdischen Vergangenheit. Diesmal jedoch nicht allein dem Holocaust, sondern in erster Linie jenem jüdischen Vermächtnis, wie es in Form der deutsch-jüdischen Literatur bzw. der jüdischen Literatur in deutscher Sprache vorliegt. Nach einigen einleitenden Hinweisen und einem Überblick über die Literatur stellt der Schwerpunkt mehrheitlich Bücher von deutsch-jüdischen Autoren vor, die weniger bekannt sind als etwa Franz Kafka oder Joseph Roth: Namentlich sind das Karl Wolfskehl, Ludwig Strauß, Soma Morgenstern, Max Zweig, Konrad Merz oder Artur Landsberger. Rezensiert werden jedoch auch Werke von vertrauten deutsch-jüdischen Größen wie Arthur Schnitzler oder Else Lasker-Schüler. Abgeschlossen wird der erste Teil des Schwerpunkts durch Rezensionen zur jüdischen Philosophie und (mit dem bedeutenden Buch von Elisabeth Kraus) zur Geschichte des deutsch-jüdischen Bürgertums. Der zweite Teil des Schwerpunkts widmet sich wiederum der Verfolgung und Vernichtung der Juden in Deutschland: Im Vordergrund stehen hier die Studien von Nathan Stoltzfus, Wolfgang Dreßen und Rudolf Kreis, von denen man nur hoffen kann, daß sie in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit finden als bisher.

Geret Luhr