Erika Mann führte ein rastloses Leben

Eine lebendige Biographie über Thomas Manns älteste Tochter

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem im Dezember des vergangenen Jahres Heinrich Breloers Fernsehserie über die Familie Mann über die Bildschirme geflimmert ist, dürfte auch der lesefaulste Zeitgenosse über Thomas Mann und seine Lieben genau Bescheid wissen. Indessen sei dahingestellt, ob Breloer mit seiner Verfilmung den Autoren Thomas und Heinrich, Erika, Klaus und Golo wirklich neue Leser zugeführt hat. Doch Irmela von der Lühes Erika-Mann-Biographie dürfte für manchen nun nicht mehr so neu und überraschend sein wie noch im Jahre 1993, als das Buch zum ersten Mal erschien.

Wer war nun Erika Mann, die älteste Tochter des Dichters Thomas Mann? Zunächst war sie die verwöhnte Tochter eines berühmten Vaters, dann engste Weggefährtin und Mitautorin ihres Bruders Klaus, für manche auch "die verrückte Schwester eines homosexuellen Bruders", später eine bourgeoise Lebedame mit kommunistischer Neigung und, nach Meinung ihrer Gegner, "Stalins fünfte Kolonne" und "Antigermanistin, die Goebbels in die Hände arbeite." Wie dem auch sei, Erika Mann war auf jeden Fall vielseitig begabt, unerschrocken und unbequem. Sie war Schauspielerin, Publizistin und Kabarettistin in dem von ihr gegründeten Kabarett "Pfeffermühle", in der Therese Giehse mit von der Partie war. Wenn Erika Mann nach Hause kam, brachte sie viel Unruhe mit sich und ging ihrer Umwelt bisweilen arg auf die Nerven, insbesondere ihren jüngeren Geschwistern. Triumphierend und befreit zitierte ihre Schwester Monika später ihren Bruder Michael, der nach Erikas Tod das Kilchberger Haus betreten und ausgerufen hatte: "Jetzt ist es eigentlich ganz gemütlich hier."

Zweimal war Erika verheiratet. Zweimal waren die Auserwählten homosexuell. Vom ersten Ehemann, dem Schauspieler Gustaf Gründgens, trennte sie sich schnell wieder. Am 15. Juni 1935 heiratete sie den zwei Jahre jüngeren Dichter Wystan Auden, um in den Besitz eines britischen Passes zu kommen. Denn die Nazis hatten sie zu dieser Zeit schon ausgebürgert.

Das erste Bild in Irmela von der Lühes Buch zeigt den stolzen Vater Thomas mit der freundlich lächelnden Tochter Erika im Jahr 1906 - da war sie gerade ein Jahr alt. Ein selbstbewusstes kleines Mädchen blickt uns auf dem Bild aus dem Jahr 1909 entgegen. Mittlerweile weiß man, dass der Vater stets auf Etikette und bürgerliches Wohlleben bedacht und von einem zwanghaften Form- und Repräsentationsbedürfnis geradezu besessen war. Auch die beiden ältesten Kinder Erika und Klaus hatten eine tief sitzende Neigung zur öffentlichen und privaten Selbstinszenierung.

Anschaulich und lebendig schildert die Autorin - sie ist Professorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Göttingen - Erikas und Klaus' Kindheit und Jugend in München von 1905 bis 1923. Zu deren bestimmenden Kindheitserlebnissen gehörten die Begegnungen mit Berühmtheiten, "die man als amüsant oder langweilig, großzügig oder lächerlich empfand und entsprechend imitierte." Vor allem Erika, die einen ausgeprägten Sinn für Albernheiten und Unverschämtheiten hatte, spielte den Bürgerschreck und die Bohèmienne, log wie gedruckt und ahmte die Leute so vortrefflich nach, dass der Vater Tränen lachte. Sowohl in München als auch in Berlin galten die Mann-Geschwister Erika und Klaus als "enfants terribles". Mit Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens spielte Erika Theater, vornehmlich Stücke, die Klaus Mann verfasst hatte.

1927 traten Erika und Klaus von Rotterdam aus eine neunmonatige Reise an, die sie nicht nur kreuz und quer durch Amerika führte, sondern auch nach Japan, Korea, China und Russland. Die verwöhnten Dichterkinder erlebten den "American way of life", seine Vorliebe für leichte Unterhaltung und oberflächliches Gerede, die Rassentrennung und die Armut in den Industriemetropolen keineswegs unkritisch. Auch später waren beide noch viel unterwegs. Im Winter 1929/30 spielte Erika wieder Theater in München und war überdies, wie uns Irmela von der Lühe ausdrücklich wissen lässt, eine leidenschaftliche Autofahrerin, die immer zu schnell fuhr und deswegen einmal mit einer Strafe belegt worden war, gegen die sie Berufung einlegte.

Als Schauspielerin spielte sie weiter in den Stücken des Bruders, als Journalistin glossierte sie das Zeitgeschehen, als Rennfahrerin schrieb sie Reiseberichte und als Weltreisende in ferne Zauberländer entwarf sie Kinderbücher. Zudem war sie eine der wenigen, die es wagte, während der Nazizeit die Stimme zu erheben, die beharrlich warnte und im Kleinen wirkte. "Sie machen zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen", schrieb Joseph Roth an Erika Mann im Frühjahr 1935.

Es folgen die Jahre im Exil, zu dem Thomas Mann erst mühsam überredet werden musste. Im Februar und März 1938 begleitete Erika ihren Vater auf einer großen Lesereise durch Amerika, half ihm bei den englischen Vortragstexten und übte mit ihm die englische Aussprache. Aus der Kabarettistin war längst eine politische Rednerin und Kriegskorrespondentin geworden, die unermüdlich arbeitete, schrieb, reiste und ein rastloses Leben führte. Ein Dasein mit Ehemann, Eigenheim und Kindern kam für sie nicht in Frage. Allerdings lebte sie mehrere Jahre mit dem Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert zusammen, pflegte eine heimliche Liebe zu Bruno Walter und verliebte sich zu guter Letzt in eine Frau Betty Knox, eine Kollegin und amerikanische Kriegskorrespondentin. Aber Erika machte sich oft auch Sorgen um ihren Bruder Klaus und kämpfte vergeblich gegen seine Todessehnsucht an. Klaus starb am 21. Mai 1949 in Cannes an einer Überdosis Schlaftabletten.

Nach dem Krieg war Erika, die in einer amerikanischen Uniform in ihre alte Heimat zurückgekehrt war, von dem ausbleibenden Neubeginn in Deutschland tief enttäuscht und schaute auf die Deutschen wie auf eine missratene Familie. Sie wurde nun eine enge Vertraute ihres Vaters. Später, nach seinem Tod, war sie seine Nachlassverwalterin. Aber was sie ablenken und trösten sollte, brachte ihr viel Kritik und eine Reihe unvorhergesehener Probleme ein. Denn mit der Arbeit für die Hinterlassenschaft des Vaters griff Erika Mann in den Augen ihrer Kritiker bisweilen kräftig daneben. Für ihre Umwelt war es oft schwer, mit ihr auszukommen. Sie wurde mit der Zeit immer einsamer. "Dieser hoch begabten und überaus temperamentvollen Frau war es nicht gegeben", schrieb Marcel Reich-Ranicki einmal, "in Frieden mit sich selbst zu leben."

Irmela von der Lühe hat nicht nur einen schwierigen Lebenslauf einfühlsam geschildert, sondern dank gründlicher Quellenstudien auch ein Stück Zeit- und Literaturgeschichte, vor allem der späten Weimarer Jahre und des Exils, lebendig werden lassen, allerdings hat sie sich mitunter von der Fülle des Materials zur Weitschweifigkeit verführen lassen. Ein wenig mehr kritische Distanz zur Familie Mann hätte der Darstellung ebenfalls gut getan.

Erika Mann starb am 27. August 1969 und wurde in Zürich neben ihrem Vater begraben.

Titelbild

Irmela von der Lühe: Erika Mann. Eine Biographie.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
448 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3596125987

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