Poesie und Ernst des Alters

Ernst Jandls traurig zärtliche Gedichte als "Literarische Taschenbücher"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Poesie etwas Körperliches ist, hat Ernst Jandl von Anfang an zum Thema seiner Lyrik gemacht. Schon die frühesten Gedichte führen vor, wie das Wort als Lautabfolge von Zunge und Lippen geformt wird und seinerseits das Gesicht dessen zeichnet, der es artikuliert. Der Vers hat bei Jandl physiologische und physiognomische Qualität. Die ersten experimentellen Texte brauchten ihren Schöpfer als Klangkörper; erst in der Rezitation durch den Dichter wurden die "Sprechgedichte" lebendig, erst die Filmmitschnitte der öffentlichen Lesungen aus den 80er Jahren vermitteln die physische Eigenart dieser Lyrik, ihre brachiale Gewalt, ihren verschmitzten Witz.

Heute, zwei Jahre nach Jandls Tod, ist seine Stimme noch so präsent, dass man keinen seiner Texte zu lesen vermag, ohne den Dichter dabei sprechen, atmen, schlucken, schmatzen, ächzen zu hören. Es geht etwas Tröstendes von der vermeintlichen Gegenwart dieser Stimme im inneren Widerhall der Verse aus; und etwas Tröstendes mag sich für den Jandl-Leser auch mit der Neuauflage der Gedichte als "Literarische Taschenbücher" in der Sammlung Luchterhand verbinden:

"der künstliche baum", die erstmals 1970 erschienene Sammlung früher Texte, und "peter und die kuh", die nach längerer Lyrik-Abstinenz in den 90er Jahren entstandenen Gedichte, markieren - weniger chronologisch als atmosphärisch - die Pole, zwischen denen sich Jandl ein Leben lang bewegte: die lustvolle, zuweilen albern kindische Sprachspielerei, das höhnisch-böse, gewollt unsentimentale, ungewollt sentimentale Verhältnis zum heimischen Wiener-Dialekt, die deutschunterricht-taugliche Sprachreflexion und, auch schon in diesen vorletzten Gedichten, Bitternis und Trauer der letzten Jahre. In ihnen zeigt sich nicht länger nur die Dichtung, sondern mehr und mehr auch der Dichter selbst im Bann des Körpers, seiner Beschwernisse, seines Alters. Das heißt auch: Viele dieser Texte sind eine Quälerei für den Dichter wie für den Leser, und das Bonmot, "die rache / der sprache / ist das gedicht", verschleiert kaum die Aggression, die sich - auch - gegen den Lesenden richtet. Sei's drum. Die andere Seite der Macht des Zerstörerischen ist die Magie des Poetischen, das sich selbst Trost ist. Diesen Trost gewährt die Selbstbeschwörung des Als-ob; seine Verlässlichkeit gründet im Resignativen:

Jetzt lege ich mich hin
weil ich schläfrig bin
und tu als ob ich schliefe
bis ich eingeschlafen bin.

Titelbild

Ernst Jandl: Der künstliche Baum.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001.
165 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3630620191

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Titelbild

Ernst Jandl: Peter und die Kuh. Gedichte.
Luchterhand Literaturverlag, München 2001.
169 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3630620205

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