Ein Wegerl ins Fustritztal

Ferdinand Schmatz' "portierisch" ist eine Art Erinnerungsmark

Von Klaus KastbergerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Kastberger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gott schütze das Fustritztal! Dort ist die Welt so wie früher. Die Herrschaft lebt ruhig und selbstgewiss und vermittelt sich dabei das Gefühl, als gäbe es nach außen rein gar kein Ressentiment. Der Dichterfreund, der ebenfalls aus adeligen Kreisen stammt, hat sich am Rand der Idylle in einem Forsthaus niedergelassen. Weiter hinten führt ein Graf, der im Buch Zup genannt wird und im wahren Leben mit Sicherheit so ähnlich heißt, ein Anwesen. Zwar meist nur am Wochenende, aber dann so, als wäre im letzten Jahrhundert von Montag bis Freitag nichts wirklich Erwähnenswertes passiert.

Ferdinand Schmatz ist mit seinem neuen Buch "portierisch" einen neuen Weg gegangen. Während für das Schreiben des Autors bislang ein selbst auferlegtes Biographieverbot galt, hat er sich jetzt Teile seiner Lebensgeschichte zum Thema erkoren und dies gleich so gemacht, dass es auch wirklich jeder merkt. Schmatz, 1953 in Korneuburg als Sohn eines Keramikarbeiters geboren, war selbst über Jahre Gast in jenem Fustritztal, hinter dem das steiermärkische Feistritz steckt.

In die vielen kleinen Schlösser des Buches passt ein Universalschlüssel, so nahe sind die gewählten Namen an der Wirklichkeit dran. Manchmal ist dies ärgerlich, wenn beispielsweise aus dem Geburtsort des Dichters ein unschönes Kornenburg, aus Neulengbach Neulangbach, aus Oberwart Oberwert oder aus Rechnitz Riechnitz werden muss. Manchmal setzen die Bezeichnungen aber auch ganz passende Konnotationen frei, wie im Fall des O.R.F., der durch eine minimale Veränderung zum D.O.R.F. wird. Zu einem Element der Handlung, nämlich der Tatsache, dass die Dichtergruppe in dieser Stadt dereinst von Einheimischen fast verprügelt worden wäre, passt die Bezeichnung der Tiroler Landeshauptstadt: Innsprack. Da fragt sich nur, warum ausgerechnet Purkersdorf seinen richtigen Namen behalten durfte.

"Portierisch" definiert natürlich vorrangig den sozialen Ort des Ich-Erzählers: Er kommt aus der Arbeiterschicht und bleibt, selbst wenn er dutzende Bücher geschrieben und noch so kluge Sachen von sich gegeben hat, im Kreise der Adeligen punziert. Dementsprechend bissig gestalten sich seine Kommentare zu ihrer Lebensform, besonders dann, wenn es um scheinbar wenig, dabei aber um alles, nämlich um die Details geht: So fuchtelt der Dichterfreund nicht nur mit abgehobenen Gedanken, sondern oft auch mit abseitigen Lokalzeitungen herum. "Provinz" scheint für diese Leute kein Schimpfwort, was Wunder, sie gehört ihnen.

Ganz besonders hat es dem Ich-Erzähler der gräfliche Bauerngarten angetan. Glaubt man den Schilderungen der Herrschaft, wächst dort das prächtigste Gemüse Österreichs. Solche Geschichten kann man, wenn man selbst aus Kostengründen mit Kohlrabi großgezogen wurde, verständlicherweise bald nicht mehr hören. Einer genauen Beobachtung ist insbesondere auch die Angetraute des Dichterfreundes ausgesetzt. Sie kommt aus dem Nichts, d. h. einem nicht näher definierten "östlichen" Land. Irgendwann hat sich die Frau einfach in den Zug Richtung Westen gesetzt, den Freund kennen gelernt und geheiratet, um dann ansatzlos ein standesgemäßes Leben zu führen.

So lebendig die Einzelheiten an manchen Stellen sind und so gedehnt sie anderswo erscheinen, so wenig wären sie allein in der Lage, die knapp 160 Seiten des Buches zur anhaltenden Freude des Lesers zu füllen. Den übergelagerten Impetus bezieht der Erzähler denn auch von anderswo. Auf seinen Reisen in und aus dem Fustritztal begleitet ihn ein Amerikaner, dessen Name Courier ist und der sich im wahrsten Wortsinn als ein Schrifttyp erweist. Die Welt stellt sich der Mann als das Resultat aktiver gedanklicher Konstruktion vor, als Moment der Erkenntnis spielt die Empirie für ihn keine Rolle.

Der Widerspruch zum aktuellen Tun des Erzählers könnte nicht größer sein. Die Erfahrungssplitter aus dem Fustritztal werden gegen die permanenten Einwände des Herrn Courier, dadurch aber mit dessen besonderer Geburtshilfe gewonnen. Zwar fügen sich die Splitter zu keinem "Romangewebe", sie wären dazu aber unzweifelhaft in der Lage. Ferdinand Schmatz selbst lässt in seinem Buch das Wort fallen, das den aktuellen Zustand des Textes am besten beschreibt. Es ist eine Art "Erinnerungsmark", das der Autor uns bietet. Ein literarischer Stoff, der in "portierisch" in einer hochkomplexen Operation gewonnen wurde, noch keine endgültige Form erreicht hat und für die Zukunft einiges erwarten lässt.

Titelbild

Ferdinand Schmatz: Portierisch.
Haymon Verlag, Innsbruck 2001.
158 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3852183626

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