Leider kein humoristischer Rezitator

Hermann Hesses Lesung in Saarbrücken vom 22. April 1912

Von Stefan SchankRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schank

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hesse folgte einer Einladung des 'Vereins der Württemberger', als er im April 1912 zu einer Lesung nach Saarbrücken kam. Es war eine von Hesses frühen Lesungen, und vielleicht lag es an der Unerfahrenheit des Autors, dass er sich nicht im Voraus danach erkundigte, was genau man denn in Saarbrücken von ihm erwarte. Wenn er nachgefragt hätte, wäre ihm eine Peinlichkeit erspart geblieben; sein Œuvre wäre dann allerdings wahrscheinlich um eine vergnügliche Erzählung ärmer.

Im 'Verein der Württemberger' hatten sich die an der Saar lebenden Württemberger zusammengeschlossen. Genaueres lässt sich nicht mehr über den Verein in Erfahrung bringen, er wird in seinen Zielsetzungen jedoch dem Beispiel anderer landsmannschaftlicher Gruppierungen gefolgt sein. Der Zweck der Organisation dürfte demnach in der Pflege der Erinnerung an die Heimat und in der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls seiner in der saarländischen Diaspora lebenden Mitglieder bestanden haben. Ein Autor aus Calw sollte im April des Jahres 1912 ins Saarland kommen, um die emotionale Verbundenheit der Vereinsmitglieder mit ihrer württembergischen Heimat zu bekräftigen. Die Erzählungen "Peter Camenzind" (1904) und "Unterm Rad" (1906) sowie sein Musikerroman "Gertrud" hatten Hesses Namen in Deutschland bekannt gemacht, Meyers Konversationslexikon verzeichnete ihn bereits, und die erste Hesse-Gemeinde hatte sich zusammengefunden. Nicht viel von all dem scheint sich indessen bis nach Saarbrücken herumgesprochen zu haben. Denn die "verhältnismäßig recht kleine Gemeinde der Erschienenen" ("Saarbrücker Zeitung" vom 25.4.1912) dankte dem Dichter zwar nach seiner Lesung "für eine schöne Stunde mit herzlichem Beifall". Aber der Applaus war wohl eher Ausdruck der Höflichkeit des Publikums oder seiner Erleichterung über das Ende einer missglückten Veranstaltung als echte Begeisterung. Jedenfalls schreibt Hesse Ende April 1912 an seine Bekannte Liddy Gregori: "Meine Reise verlief vollends gut, nur der 'Dichterabend' in Saarbrücken verunglückte vollständig." Ein wenig genauer beschreibt er das Desaster in einem etwas später entstandenen Brief an dieselbe Adressatin: "Der Tag bei Ihnen ist mir in der schönsten Erinnerung, in besserer als Saarbrücken, wo ich vorlesen musste und wo man, ich weiß nicht warum, in mir einen komischen Rezitator erwartet hatte." Und auch gegenüber Emanuel von Bodman erwähnt Hesse die missglückte Lesung in einem Brief vom 11. Mai 1912: "Ich war fort und erlebte in Saarbrücken ein drolliges Missgeschick als Vorleser. Die Leute hatten nämlich in mir eine Art Komiker erwartet und waren schwer enttäuscht."

Wann Hesse seine Saarbrücker Erfahrungen in der 1914 erstmals veröffentlichten Erzählung "Autoren-Abend" verarbeitete, ist ungewiss. Sicher ist, dass das Manuskript etwa zwei Jahre später vorlag, und sicher ist auch, dass "Autoren-Abend" sich tatsächlich auf die Lesung in Saarbrücken bezieht. Hesse stellt den Zusammenhang in einem Brief aus dem Jahr 1953 explizit her.

Der im Blieskasteler Gollenstein-Verlag erschienene Band "Hermann Hesse: Autoren-Abend in Saarbrücken" dokumentiert die Umstände der Lesung, so weit dies heute noch möglich ist. Zeitgenössische Fotografien des Dichters und des Veranstaltungsortes, der Abdruck der Veranstaltungsankündigung und des nachfolgenden Berichts in der "Saarbrücker Zeitung" versetzen den Leser des Buches in eine längst vergangene Epoche und lassen das provinzielle Flair spürbar werden, das die Lesung umgab. Hesses Erzählung "Autoren-Abend", die im beinahe entschuldigenden Eingeständnis des Vortragenden vor seinem Publikum gipfelt, er sei "leider kein humoristischer Rezitator, sondern ein Literat", nimmt die Pointe des Bandes vorweg: man weiß fortan, dass an jenem Abend sowohl die Erwartungen des Dichters als auch die Erwartungen seines Publikums enttäuscht wurden. Beginnt man mit diesem Wissen die Lektüre der danach abgedruckten, von Hesse an jenem Abend gelesenen Texte, so wird das poetische Fiasko in der verrauchten, lauten, auf bierselige Heiterkeit eingestellten Saarbrücker 'Tonhalle' in seiner ganzen beklemmenden Peinlichkeit noch einmal lebendig.

In seinem Nachwort trägt der Herausgeber des Bandes, Ralph Schock, die belegbaren Fakten zu Hesses Saarbrücker Lesung zusammen, skizziert die Textgeschichte der Erzählung "Autoren-Abend" und gibt Hinweise auf mögliche Zusammenhänge zwischen den Figuren und Orten in der Erzählung und den realen Personen und topographischen Gegebenheiten, ohne dabei in Spekulationen und Mutmaßungen zu verfallen. Ralph Schock ist auch der Herausgeber der Reihe "Spuren", die der vorliegende Band fortsetzt. Bisher erschienen in dieser Reihe Texte von Ilya Ehrenburg, Philippe Soupault, John Henry Mackay, Adrienne Thomas, François-Régis Bastide und anderen. "Spuren" will das "Vergessene, Entlegene, Verborgene" entdecken und hat sich als Motto einen Gedanken Ernst Blochs gewählt: "Immer mehr kommt unter uns daneben auf. Man achte grad auf kleine Dinge, gehe ihnen nach. Was leicht und seltsam ist, führt oft am weitesten."

Die im Band über Hesses Autoren-Abend in Saarbrücken dokumentierte Episode ist nicht spektakulär. Und vielleicht ist gerade das der Grund, weshalb sie eine sehr nahe, sehr intensive Begegnung mit Hesse und seinem Werk ermöglicht.

Titelbild

Hermann Hesse: Autoren-Abend in Saarbrücken. Verlauf und Folgen der Lesung vom 22. April 1912. Eine Dokumentation.
Gollenstein Verlag, Blieskastel 2000.
115 Seiten, 15,20 EUR.
ISBN-10: 3933389178

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