Eingeliefert, ausgeliefert

Jacek Glebskis "Der Trip" ist ein verhängnisvoller Selbstversuch

Von Torsten GellnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Torsten Gellner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der junge Psychiater Andrzej Majer möchte ein guter, ein verständnisvoller Arzt sein. Von Skepsis und beruflichen Ehrgeiz getrieben lässt er sich als Patient in die Psychiatrie einweisen, um so später seinen Patienten ein besserer, verständnisvollerer Arzt zu sein. Nur zwei Menschen, sein Vorgesetzter und Professor Ziminski, in dessen Station sich Majer einschleusen lässt, wissen von der riskanten Unternehmung. Majers Einlieferung ist deshalb eine Auslieferung an das Vertrauen und auch an die Weiterexistenz der Eingeweihten. Es wäre für diese ein Leichtes, den jungen Arzt auf Dauer in der Anstalt sitzen zu lassen, und selbst wenn es zunächst keine direkten Anzeichen für ein solch übles Ansinnen gibt, bezieht Jacek Glebskis Roman aus diesem Bedrohungspotential seine Spannung. Es kann ruhig gesagt werden, dass der befürchtete Super-Gau eintritt. Der eingeweihte Stationsarzt Professor Ziminski, der allein über die Befugnis zur Entlassung des Pseudopatienten verfügt, verstirbt plötzlich.

Währenddessen wird Majer mit einem unglaublichen Fall konfrontiert. Sein Bettnachbar in der geschlossenen Abteilung ist ebenfalls Psychiater und, sofern es im Rahmen dieses Berufsstandes möglich ist, völlig gesund. Aus machtpolitischen Gründen verbüßt er eine "Psychohaft". Bei geheimen, vom Staat geförderten Experimenten mit Schizophreniepatienten entdeckte der Arzt eine Methode, mit der sich die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen um ein Vielfaches steigern ließen. Im Rahmen dieser Experimente kam es allerdings zu zwei Todesfällen, einem öffentlichen Eklat, und seine mächtigen Förderer ließen ihn fallen: "Dr. Mengele, unerhörter Missbrauch, Pflichtverletzung, Schaden für die Kranken, und am Ende gelangten sie zu dem Schluss, dass meine Arbeiten besonders gefährlich seien, denn ich hätte, sagten sie, eine fixe Idee, ich wollte Menschen mit Superhirnen produzieren, und dass das eine ungeheure Manipulation sei."

So darf der selbstlose Held noch einige aufschlussreiche Erfahrungen als Patient auf der anderen Seite des medizinischen Apparates sammeln. Die rohe Gewalt genervter Pfleger, die zerstörerische und dabei medizinisch zweifelhafte Wirkung von Elektroschocks und auch der Patiententypus "wandelnde Zeitbombe" sind mit von der Partie. Als Gesunder unter Verrückten, das ist ein beliebter Topos der Literatur wie des Kinos, der selten ohne die pflichtschuldige Reflexion darüber auskommt, was denn eigentlich "normal" sei und was man als "verrückt" zu bezeichnen habe. Nicht nur die Literaturgeschichte zeugt ja davon, wie Genie und Wahnsinn gerne den selben Wirt bevölkern: "van Gogh, Proust, Goethe, Beethoven, Newton, Goya, Witkacy, Gombrowicz, Nikifor ... Kann Krankheit, kann die Abweichung von der sogenannten psychischen Norm - was immer das auch sein mag - die geniale Erfüllung bisher unerfüllter Ideen sein? [...] Kranke, die den Gesunden Ideale weisen."

Der Debütroman des polnischen Autors Jacek Glebski, geboren 1963, gibt sich nicht mit dem Verkauf einer billigen Verschwörungsstory zufrieden, die von pseudomedizinischem Jargon und psychiatriekritischen Allgemeinplätzen durchdrungen wird, was man eigentlich anhand des vornehmlich auf Kurzweil und "Thrill" zielenden Plots erwarten könnte. Als studierter Geograph scheint sich Glebski intensiv mit der Materie auseinandergesetzt zu haben, soweit man das als Laie beurteilen kann, und verkauft damit eine an sich unglaubliche Geschichte, die auch Grundlage einer "Urban legend" sein könnte, absolut glaubwürdig und realistisch.

Einzig eine kleine handwerkliche Schwäche läuft Glebskis glaubhafter und über weite Strecken spannender Erzählung entgegen. Die Perspektive des eindeutig unmittelbar erlebenden Ich-Erzählers wird mehrmals verlassen und "literarisiert", etwa wenn der Erzähler Gesprächsfetzen nicht mitbekommt, weil er "in Gedanken ganz woanders" war und dennoch seinem Leser im genauestem Wortlaut schildert, was er selbst nicht vernommen hat.

Titelbild

Jacek Glebski: Der Trip. Roman.
Übersetzt aus dem Polnischen von Monika Cagliesi-Zenkteler.
Hainholz Verlag, Göttingen 2001.
182 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3932622790

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