Lustvolle Lautwerdung

Katalog zur James Joyce-Ausstellung im Literaturmuseum in Zürich

Von Ulrich SonnenscheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Sonnenschein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man seine Bücher oberflächlich betrachtet, all diese Anspielungen, Verweise, Zitate, die große Menge von Wissen, das eher dem Lesen als dem Erleben entspringt, könnte man meinen, James Joyce wäre ein Denker gewesen, dem die Welt nur insofern bedeutend ist, als sie ein Reservoir für seine Texte darstellt. Doch lässt man sich dadurch nicht abschrecken und wagt einen zweiten Blick, dann stellt man eine enorme Sinnlichkeit fest, eine Transformation von Sehen und Hören in Zeichen und Worte. Der Prozess der Übertragung aber bleibt nicht einseitig auf den Autor beschränkt, sondern vollzieht sich in unendlicher Folge auch beim Lesen, und zwar immer wieder aufs Neue. Gerade seine beiden Großwerke "Ulysses" und "Finnegans Wake" sind somit Kunstwerke des Prozesses, sie erscheinen zwar hermetisch und unzugänglich, erschließen sich dem Leser dann aber in höchst subjektiver Weise. Sie sind deshalb eben nicht geschlossen, sondern, wie es Umberto Eco einmal darlegte, offene Kunstwerke. Was liegt da näher, als diese Sprachkunst in eine eigene Bildlichkeit zu verlängern? Joseph Beuys beispielsweise nutze die Bedeutungsvielfalt der Worte für seine Kunst, indem er gegen Ende der fünfziger Jahre einer Arbeit folgenden Titel gab: "Beuys verlängert im Auftrag von James Joyce den Ulysses um sechs weitere Kapitel." Auch der Schweizer Künstler Hannes Vogel hat sich für die multiperspektivische Vorgehensweise interessiert und nach Übereinstimmungen zwischen dem Schriftsteller, dem Bildhauer und dem Archäologen gesucht. Seine Interpretation des sprachlichen Kosmos, wie Joyce ihn entwarf, war Anlass für eine Ausstellung in Zürich. In dem konzentrierten Katalog kann man diese Prozesse der Auseinandersetzung nachvollziehen und sich Joyce dadurch aus einer anderen, ungewohnten Richtung nähern. Denn wenn man die akustischen Elemente des "Ulysses" - und mehr noch bei "Finnegans Wake" - ebenso ernst nimmt wie die visuellen, dann erschließt sich hierdurch eine Bedeutungsebene, die zwar den Text als Ganzes nicht umfasst, doch dem Lesen ungeheuer zugute kommt. Die Empfehlung "Finnegans Wake" in einer der schummerigen irischen Kneipen zu lesen, und zwar laut in einer halböffentlichen Runde, sei durchaus ernstzunehmen. Denn in der Lautwerdung entsteht eine Bedeutung, die der vielsprachig unterfütterte Text zwar beinhaltet, aber nicht zwingend vorgibt. In diesem lustvollen Prozess wird der Text ein sprechendes Gemälde, verliert seine abschreckende Größe und generiert sich als neues Kunstwerk, das nur noch dem Moment verpflichtet ist. Genau das war Joyces Ziel. Nicht die so gern zitierte Verrätselung, die die Professoren 300 Jahre lang beschäftigen sollte, war der Anlass für sein Spätwerk. Joyce kannte die Akademie und machte sich gerne seinen Spaß mit ihr. Vielmehr wollte er dem Text Dauer verleihen und zwar nicht als Monument, sondern als Prozess. Und diese andauernde Existenz des Textes sah er in Generationen von Lesern, Künstlern und Autoren, die mit diesem kreativ umgehen. Und das Lesen war für Joyce ebenso kreativ wie die künstlerische Gestaltung. Als Anregung für einen kreativen Leseprozess also, ohne Angst vor den unzähligen Bedeutungsebenen der Texte von James Joyce, sei dieses Buch "gedacht durch meine Augen" jedem wärmstens empfohlen.

Titelbild

Ursula Zeller / Ruth Frehner / Hannes Vogel (Hg.): James Joyce - gedacht durch meine Augen. Katalog zur Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof, Zürich. Mit Beiträgen von Fritz Senn und Christa-Maria Lerm Hayes.
Schwabe Verlag, Basel 2000.
238 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3796515932

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch