Kunst-Staub

Zum zweiten Band der Reihe "Kulturwissenschaftliche Gender Studies": Sammeln - Ausstellen - Wegwerfen

Von Gustav MechlenburgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gustav Mechlenburg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Man könnte eine Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts als Abfall-Geschichte schreiben." So heißt es in dem Beitrag von Helga Kämpf-Jansen, einem von 20 Artikeln, die im Rahmen des mehrjährigen Projekts einer Forschungsgemeinschaft von Kulturwissenschaftlern des Landes Nordrhein-Westfalen über die "kulturelle Transformation der Dinge" entstanden sind. Nach "Die UmOrdnung der Dinge" ist es bereits der zweite Band dieser Reihe, den der Ulrike Helmer Verlag nun unter dem Titel "Sammeln - Ausstellen - Wegwerfen" herausgibt. Weitere Bände sollen folgen.

Was alle drei Begriffe des Titels verbindet, ist die Entnahme ihrer Gegenstände aus dem ökonomischen Kreislauf der Nutzbarkeit. Kunstgeschichte lässt sich von daher tatsächlich als Abfallgeschichte schreiben. Allerdings bedarf es dazu einer näheren Definition von "Abfall". Denn in der Kunst wie auch in jeder Sammlung wird zugleich eine andere Ökonomie gebildet, die den Betrachter "dazu zwingt, die Außengrenze ihrer symbolischen Sinnwelt zu überschreiten und sich das System Kultur mit seinen Mechanismen der Entwertung und Ausgrenzung bewusst zu machen".

Dieser Auf-, Um- und Entwertung von Dingen gehen die einzelnen Beiträge unter verschiedenen Perspektiven nach. Im ersten Teil "Sammeln und Ausstellen" ist eines der Hauptthemen die museale Präsentation. Hervorgehoben sei an dieser Stelle Andrea Hausers Artikel "Staunen - Lernen - Erleben", in dem sie einen interessanten Querschnitt durch die 300 Jahre währende Geschichte des modernen Museums gibt. Waren es anfangs Kuriositätensammlungen, die Staunen beim Publikum hervorriefen und zugleich Macht und Prestige des Ausstellers und seiner eigenen Kultur untermauerten, nahmen die Kunst- und Wunderkammern im Verlauf des 17. Jahrhunderts zunehmend wissenschaftlichen Charakter an. Seit dem 18. Jahrhundert erfolgte im Zuge der Systematisierung und Spezialisierung der Museen eine Belehrung des Sammlers wie des Besuchers. Und schließlich werden Museen und Ausstellungen zu einem Freizeitangebot unter anderen. Der aufkommenden Skepsis gegenüber elitären Museumskonzeptionen wird durch paradoxe Inszenierungen und durch Selbstthematisierung von Hierarchien der dargebotenen Objekte Rechnung getragen.

Auch Karl-Josef Pazzinis Untersuchung zum Freud-Museum in Wien sei hier erwähnt. An dem Begriff der "Gabe" versucht er, die Unbeherrschbarkeit eines solchen Andenkens zu verdeutlichen. Die ausgestellten Gegenstände Freuds bergen die Gefahr, zu Fetischen zu werden. Einziger Ausweg liegt seiner Meinung nach in einer kollektiven Bearbeitung der auf sie gerichteten Projektionen. Zu einer solchen "Bildung im Symbolischen, gestützt durch Gegenständliches, durch eine Inszenierung, dienen Museen".

Der zweite Teil "Sammeln und Wegwerfen" behandelt vor allem literarische Beschreibungen. Anne-Kathrin Reuleckes Analyse der Erzählung "Unsichtbare Sammlung" von Stefan Zweig gibt Einblick in die Motivationsstruktur von Sammlern. "Die Beweggründe für den Sammler liegen in dem Begehren, der gegebenen Ordnung der Dinge, die als beliebig und als vom Individuum nicht beeinflussbar erscheint, eine neue, selbst gestaltete und damit ,sinnvolle' Ordnung gegenüberzustellen." Zugleich zeigt sie aber auch die Blindheit, mit der jede Sammlung geschlagen ist. "Der Sammler sieht an der Identität der Sammelstücke vorbei, um seine Vision im Blick zu haben." Der Sammler ist von daher immer mehr Taktiker als Genießer, da er die Gegenstände im System seiner Sammlung dingfest machen muss, was der reinen Augenlust gegenübersteht.

Warum Sammeln überhaupt zu einem so flächendeckenden Sport geworden ist, macht Gabriele Rippl mit Hinweis auf Odo Marquards "Wegwerfgesellschaft und Bewahrungskultur" deutlich. "Die Moderne entwickelt - kompensatorisch zum fortschreitenden Ausrangieren - kontinuitätsschützende Kräfte, die das Ausrangierte bewahren; und zum wichtigen Kompensationsorgan wird dabei das bewahrende Sammeln."

Für Gisela Ecker lassen sich dagegen gerade am Abfall Wertschätzungen ablesen. "Das Verworfene, wo es als das Andere einer Ordnung fungiert, ist dieser zutiefst verbunden." Anhand mehrerer Romane und Erzählungen, in denen Müll oder Ekel eine herausragende Rolle spielen, zeigt sie, wie "sich in der Literatur im Thematisieren von Wertschätzen und Verwerfen ein Rahmen eröffnet, selbstreflexiv Fragen der Ästhetik zu behandeln." Zumindest in der Kunst lässt sich danach von Abfall oder Müll gar nicht reden - es gibt nur das Verrücken der Kontexte und das Spiel der Bedeutungen.

Mit dem Band "Sammeln - Ausstellen - Wegwerfen" ist den Autoren ein lesenswerter Beitrag zur Kulturwissenschaft gelungen, der sich von sonstigen Cultural-Studies-Readern durch seinen nüchtern-theoretischen Stil und seine Detailgenauigkeit abhebt. Das im Untertitel und der Einleitung angekündigte Thema Gender hätte allerdings noch stärker herausgearbeitet werden müssen. Nur an wenigen Stellen wird auf diese Kategorie explizit hingewiesen, was darauf hindeutet, dass der Bezug darauf wohl mehr einer Mode geschuldet ist, als dass es tatsächlich mit den einzelnen Artikeln in Zusammenhang steht.

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Gisela Ecker / Martina Stange / Ulrike Vedder (Hg.): Sammeln - Ausstellen - Wegwerfen. Kulturwissenschaftliche Gender Studies Bd. 2.
Ulrike Helmer Verlag, Königstein 2001.
304 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-10: 3897410702

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