Zwanzig nachdenkliche Geschichten

Hanna Johansens Erzählband erfordert Durchhaltevermögen

Von Heike SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kennen Sie das? Monatelang an ein- und demselben Buch gelesen, dann endlich, geschafft, die letzte Seite noch und Ende. Wäre es ein schlechtes Buch, hätte man es längst zurück ins Regal gestellt. Könnte das Buch begeistern, so hätte man es sofort verschlungen.

Mit zwanzig Erzählungen versucht Hanna Johansen, den Leser neugierig zu stimmen. Ihre "Zehn ziemlich kurzen Geschichten über die Liebe" schaffen das auch. Sie sind witzig im Detail, in jeder Geschichte lernen wir unterschiedliche Sonderlinge kennen. All diese Figuren finden, verlieren, suchen, entdecken und belächeln: die Liebe. Da ist zum Beispiel Otfried. Er wartet auf die Richtige. Oder Elvira, die weiß, was sie will. Felix hat wenig Zeit für die Liebe und Moritz braucht keine Wörter.

Auch in den anderen Erzählungen Johansens geht es um Menschen und ihr Seelenglück. Doch fehlt vielen dieser Geschichten die Ironie, das wit-zige Detail. Stattdessen dominiert die Melancholie: Die Charaktere der Erzählungen nehmen den Leser mit in ihre Vergangenheit, eine stets traurig-tragische Reise.

Eines haben alle Erzählungen gemeinsam: Hanna Johansen hat sie wunderbar geschrieben. So, als kenne sie jede einzelne ihrer Figuren persönlich, als hätte sie wahre Lebensgeschichten gesammelt. Ihre Erzählungen stecken voller Datails und wirken wohl gerade deshalb nicht gekünstelt. Leider sind die verschiedenen Lebensgeschichten inhaltlich nicht miteinander verbunden. Jede Geschichte steht für sich, erzählt von einem anderen Menschen. Gerne würde man den einen oder anderen Kauz ein paar Seiten weiter noch einmal treffen. Daß es nicht passiert, erschwert dem Leser den Zugang.

"Halbe Tage, ganze Jahre" ist ein nachdenklich stimmender Erzählband der 60jährigen Wahl-Zürcherin. An einigen Erzählungen klebt moralisch-gesellschaftskritischer Trief, der dem Leser aufdringlich unter die Nase gerieben wird. Das macht die Lektüre ermüdend und nimmt die Freude am augenzwinkernden Humor der anderen Geschichten.

Titelbild

Hanna Johansen: Halbe Tage, ganze Jahre.
Carl Hanser Verlag, München 1998.
210 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3446194878

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