Elixier des Teufels

Alexis Panselinos' Mozart-Roman "Zaide oder das Kamel im Schnee"

Von Ulrich SonnenscheinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Sonnenschein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem "Introitus" genannten Vorwort verrät Alexis Panselinos uns seine Methode. Bei einem Besuch in Linz, so legt er zunächst überzeugend dar, erhielt er von einem befreundeten Musikwissenschaftler einen Stapel Briefe, die in den Jahren 1792 bis 1800 aus Italien und Griechenland nach Österreich geschickt worden waren. Sie stammten von einem auf seine Anonymität bedachten deutschen Musiker und waren an seine Geliebte Sophie gerichtet. Aus diesen Briefen habe Panselinos, so sagt er, eine Geschichte destilliert, vielleicht gar in der Fiktion rekonstruiert, was sich damals wirklich zugetragen haben könnte, inmitten der napoleonischen Kriege zwischen Triest und Korfu. Doch bei diesem Musiker, der sich mal Gottlieb Pertl, dann wieder Chrisostomos Mazarini, und schließlich Odysseus nennt, handelt es sich um niemand geringeren als Johannes Chrisostomos Wolfgang Gottlieb Mozart, das siebte Kind von Leopold Mozart und Anna Maria Pertl. Das Problem ist nur, dass Mozart zum Zeitpunkt des Verfassens der Briefe bereits mehrere Monate tot war. Als Todesdatum galt bislang der 5. Dezember 1791.

Nun geht es Panselinos gar nicht darum, die Biographie Mozarts umschreiben zu wollen oder sich der Forschung entgegenzustellen. Sein Roman macht schnell klar, dass es kaum eine Rolle spielt, ob diese Einleitung der Wahrheit entspricht oder vielmehr schon Teil der Fiktion ist. Denn im Sinne E. T. A. Hoffmanns wird hier ein Elixier des Teufels zusammengebraut, das sich von der Wirklichkeit des Erzählers denkbar weit entfernt. Der Rahmen öffnet einer üppigen Phantasie Tür und Tor, die sich gerade in dieser Distanznahme so ungebunden entfalten kann.

Natürlich ist Mozart, ob nun als Pertel oder Mazarini, der geniale Musiker, er gewinnt alle Herzen mit seinem virtuosen Spiel und beeindruckt am Schluss selbst einen türkischen Tyrannen mit einer neuen Version seines niemals abgeschlossenen Singspiels "Zaide" von 1779, das seine Frau Konstanze Mozart tatsächlich erst Jahre nach seinem Tod 1799 fand. Aber er ist eben nicht in Wien gestorben, hat sich nicht in den Klängen seines letzten Werkes, des Requiems, verloren. Doch das Überleben hat hier viel weniger Dramatik als bei Milos Forman, der in seinem Mozartfilm einen neiderfüllten Salieri zum indirekten Mörder macht, der dem kranken Mozart mit einem gut bezahlten, aber unerfüllbaren Auftrag unter Druck setzt. Bei Panselinos schließt Mozart das Requiem ab und inszeniert seinen Tod, um den Schulden, der Familie und der bedrängenden Atmosphäre am Hofe zu entrinnen und flieht erst nach Italien, dann über Triest nach Korfu und schließlich auf das griechische Festland nach Jannina.

Das anonyme Armengrab, in dem Mozart damals verscharrt wurde, ist für Panselinos die Chance, den Mythos weiterleben zu lassen und ihn dabei zu entkleiden. Obwohl sich Panselinos als großer Bewunderer zu erkennen gibt, neben "seinem Helden" einzig William Shakespeare, "einen der wenigen großen Dichter" gelten lässt, wird Mozart in dieser mediteranen Scharade ungeheuer menschlich. Das Genie, dessen provokatives, auffallendes Verhalten legendär war, wird hier ein angstvoll Getriebener, gleichermaßen verfolgt von seiner Wiener Vergangenheit und einer griechischen Gegenwart, die vor allem durch den Krieg zwischen Franzosen, Russen und Türken geprägt ist. Außerdem lässt Panselinos nur an ganz wenigen Stellen durchblicken, wen er hinter den Briefen vermutet, die er immer wieder großflächig zu zitieren vorgibt, sie mit Anmerkungen und Erklärungen versieht und schließlich mit einem Credo auf die Macht des Künstlers enden lässt. "Zaide oder Das Kamel im Schnee" ist ein ausladender Roman im Sinn der schwarzen Romantik, vielschichtig in seiner Struktur, im einzelnen durchaus wohlklingend, doch in der Überfülle, die ihn jeder leichten Konsumierbarkeit entzieht, von einer erschreckenden Beliebigkeit. Selbst auf den letzten Seiten wird noch ein Figur eingeführt, der Inhaber einer Karawanserei, und mit Fragmenten einer Biographie ausgestattet. Die Orte verschwimmen in ihrer Beschreibung zu einer vergangenen Exotik und die Zeit wird nicht in ihrem Verlauf reflektiert, sondern für die Handelnden immer nur in ihrer Gegenwärtigkeit bedeutend. Damit zerfällt der Roman, der sich eine opernhafte Sinnlichkeit vorgenommen hat, in viele kleine Teile, aus denen sich nur unter großem Aufwand ein einheitliches Bild zusammensetzen lässt. Er ergeht sich in Einzelheiten, bleibt aber in der Konstruktion des Ganzen zu vage, setzt der drastischen, triebhaften Erotik beispielsweise nur wenig an Reflexion entgegen und nimmt der Reise mit der Dramatik auch die Plausibilität.

Auf der Flucht vor seinen Gläubigern trifft Chrisostomos zwar Edelleute, Piraten, Räuber, Freiheitskämpfer, türkische Besetzer und griechische Patrioten, doch ihr Ziel findet sie bei dem Grafen und Dichter Andreas Roilos, der schließlich zum geistigen Widerpart im Sinne der Kunstschöpfung wird. In diesen ästhetischen Auseinandersetzungen kommen Panselinos Stärken besser zur Geltung als in den immer wieder recht blumigen Beschreibungen. Hier wird der Roman zum Medium der Selbstbetrachtung die er an anderer Stelle vermissen lässt, um schließlich mehr zu sein als nur die wortreiche Wiederbelebung einer historischen Epoche. Vor allem dann, wenn er ironisch werden will, die Frage nach Identität und nach persönlicher Geschichte stellt, rutscht Panselinos ins Kolportagehafte ab. Denn immer dann wenn Chrisostomos aktuell zur Ruhe kommt, erzählt er seinen Freunden seine eigene Geschichte, von sexueller Gier und finanzieller Not, von Intrigen und Verschwörungen innerhalb der Wiener Gesellschaft und schließlich von der Selbsterrettung durch Tod und Flucht. Indem Panselinos Mozart seinen eigenen Tod inszenieren lässt, ihn als Namenlosen in eine Welt voller Titel und Persönlichkeiten schickt, macht er aus ihm eine Art romantisches Klischee. Nur durch die Kunst geadelt, existiert er zunächst kaum außerhalb dieses Zusammenhangs und wenn er am Schluss die Viola zurücklassen muss, um eine Frau zu retten, dann ist das genau die Umkehrung dieses romantischen Künstler-Motivs. "Zaide oder Das Kamel im Schnee" aber fehlt es an der Dichte eines E.T.A Hoffmann, an psychologischem Gespür und einer Motivsicherheit, die den Roman mit seinen Vorläufern gleichwertig korrespondieren lässt. Um die zentraleuropäische Perspektive an einer zerklüfteten Bergwelt voller Freischärler zerschellen zu lassen, hätte es der vielen historischen Verrenkungen nicht bedurft. Wie Mozart, den er eigentlich retten wollte, verliert sich Panselinos in seiner eigenen Schöpfung.

Titelbild

Alexis Panselinos: Zaide oder Das Kamel im Schnee.
Übersetzt aus dem Griechischen von Theo Votsos.
Berlin Verlag, Berlin 2001.
560 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3827000890

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