Die sozialistische Verheißung von Wohlstand, Schönheit und Glück

Annette Kaminskys "Kleine Konsumgeschichte der DDR"

Von Henri BandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Henri Band

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Unser Tisch soll mit dem Besten gedeckt werden, was die Natur zu bieten hat: hochwertige Fleisch- und Milchprodukte, Edelgemüse und beste Obstsorten, früheste Erdbeeren und Tomaten zu einer Zeit, da sie auf unseren Feldern noch nicht reifen. Weintrauben im Winter, nicht nur zu Zeiten der großen Schwemme. [...] Was da auf den Handel zukommt, diese immer mächtiger anschwellende Woge von Lebens- und Genussmitteln aus aller Herren Länder, von Kleidung und Schuhen, von wundervollen neuwertigen Stoffen usw. Die ganze Welt oder fast die ganze Welt wird uns offen stehen, und die Entfernungen spielen keine Rolle. Mehrmonatige Weltreisen werden zu einem festen Bestandteil des Bildungsganges der Jugend gehören."

Diese Worte stammen nicht von einem Propheten der sozialen Marktwirtschaft, sondern werden in der lesenswerten Studie von Annette Kaminsky zur Konsumgeschichte der DDR - irrtümlich - Walter Ulbricht zugeschrieben. Tatsächlich handelt sich um eine Kompilation von Zitaten aus dem Jugendweihe-Buch "Unsere Welt von morgen" aus dem Jahre 1961, in dem den Jugendlichen in kräftigen utopischen Farben eine kommunistische Überflussgesellschaft verhießen wurde. Die Autoren des Buches lagen mit ihrer Prognose so schlecht nicht. Nur in dem Gesellschaftssystem, das diesen Reichtum hervorbringen sollte, haben sie sich geirrt.

Dieses Zitat und viele andere von der Autorin zusammengetragene Dokumente belegen, dass die DDR nicht einfach nur eine Mangelgesellschaft war, sondern eine Konsum- und Wohlstandsgesellschaft eigener Art sein wollte. Die "Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber der Herrschaft der imperialistischen Kräfte im Bonner Staat" sollte ursprünglich auch auf dem Gebiet des Konsums bewiesen werden. Die Rede von der Hebung des materiellen und geistigen Lebensniveaus der Werktätigen, wie es im damals üblichen "Kaderwelsch" hieß, war eine systemkonstitutive Phrase. Fragen der Versorgung und des Konsums wurden auf allen Ebenen der Gesellschaft intensiv diskutiert. Mit den tausend kleinen Dingen des täglichen Bedarfs, den Dienstleistungen und Reparaturen beschäftigte sich selbst das Politbüro. Spätestens die Ereignisse um den 17. Juni 1953 hatten der SED-Führung drastisch vor Augen geführt, dass ihre Monopolherrschaft langfristig nur durch die Schaffung eines breiten Massenwohlstandes abzusichern und zu legitimieren war.

Ein Wirtschaftswunder blieb bekanntlich in der DDR aus. Dennoch konnte das Lebens- und Konsumniveau der Bevölkerung nach und nach deutlich verbessert werden. Seit den 60er Jahren herrschte in der DDR kein existenzieller Mangel an lebenswichtigen Grundbedarfsgütern mehr. Beim Pro-Kopf-Verbrauch einiger Grundnahrungsmittel hatte sich die DDR sogar an die Weltspitze gegessen bzw. getrunken - mit zum Teil abträglichen Folgen für die Gesundheit ihrer Bürger. Immer mehr moderne technische Ausstattungsgüter wie Waschmaschinen, Fernseher und Kühlschränke hielten in den Haushalten Einzug. Gleichwohl blieben Versorgungsmängel ein ständiger Begleiter des DDR-Alltags. Alles wurde irgendwann und irgendwo mal knapp. Öfter in der Provinz, seltener in Berlin. Den Engpässen bei zahlreichen Gütern des täglichen und gehobenen Bedarfs standen beträchtliche Mengen an Überplanbeständen und Ladenhütern gegenüber. Oft wurde am Bedarf vorbeiproduziert, und die Warenstreuung blieb ein nicht aufzuklärendes Mysterium. Die Versorgungslage war nicht hoffnungslos, sie war zermürbend. Ein kollektives Zähneknirschen ging durchs Land. Man meckerte, wo der Sozialismus nicht hielt, was er durch die Stimme der Partei versprach. Gelegenheiten dazu boten sich reichlich. Es gab keine Kneipenrunde, in der nicht irgendwann die Versorgungsmisere diskutiert wurde. Es war zum Davonlaufen, nicht zum Revoltieren.

Einkaufen war kein Freizeitvergnügen, sondern Beschaffungsarbeit, zu der man auch schon mal den Arbeitsplatz vor Feierabend verließ. Denn seinerzeit bestand die große Kunst darin, zur rechten Zeit am rechten Auslieferungsort zu sein. Hatte man keine verlässlichen Insiderinformationen, musste man die betreffenden Geschäfte regelmäßig abgrasen. Nicht von ungefähr bevorzugte man im Alltag den treffenderen Ausdruck "besorgen". Die Beschaffungskreativität gelernter DDR-Bürger war sprichwörtlich. Gab es was, war Kaufen über den unmittelbaren Bedarf hinaus eine unverzichtbare Tugend, sei es zum Zwecke der Vorratshaltung oder der Abwicklung von Tauschgeschäften. Den Jägern und Sammlern standen die Heimwerker und Bastler zur Seite, wenn es um Reparaturen und handwerkliche Dienstleistungen ging, die nur schwer und nach langen Wartezeiten zu bekommen waren. Das Mangelangebot an Gütern und Dienstleistungen führte zu einem ständig steigenden Kaufkraftüberhang. Die meisten Bürger hatten - mit Ausnahme der Rentner - mehr Geld in der Tasche, als sie in den Geschäften ausgeben konnten.

Die angespannte Versorgungslage blieb nicht ohne mentale Folgen. Die Autorin erinnert zu Recht daran, dass die DDR nicht nur eine solidarische, sondern auch eine missmutige Gesellschaft war. Jenseits freundschaftlicher und kollegialer Beziehungsnetze genoss man nicht unbedingt einen Anspruch auf einen freundlichen Umgangston. Gerade im Dienstleistungsbereich ging es mitunter sehr rau zu. Der Kunde fand sich oft in der Rolle des störenden Bittstellers wieder, der zum Beispiel vor halbvollen Restaurants geduldig warten durfte, bis er von einem Kellner gnädig platziert wurde.

Den Übergang von Ulbricht zu Honecker kennzeichnet Kaminsky wie andere AutorInnen vor ihr als eine nicht nur wirtschaftspolitische, sondern auch konsumpolitische Zäsur. Das Versprechen auf eine kommunistische Überflussgesellschaft in der Zukunft wurde durch die Lobpreisung der Segnungen des real existierenden Sozialismus in der Gegenwart ersetzt. Die Wirtschafts-, Sozial- und Konsumpolitik rückten wieder enger zusammen. Ein ambitioniertes Wohnungsbauprogramm wurde angeschoben und junge Ehen mit großzügigen Krediten gefördert. Mit dem schleichenden Verlust der utopischen Energien setzte sich die DDR aber nunmehr ganz dem direkten Vergleich mit dem potenteren bundesrepublikanischen Nachbarn aus und schnitt dabei immer schlechter ab. Zudem taten sich neue Konsumtrends auf, die die DDR technologisch (neue Generation von Ausstattungsgütern und Unterhaltungsmedien mit mikroelektronischen Bauteilen) und politisch (internationaler Tourismus) überforderten. Der monotone Verweis auf die sozialen Errungenschaften, auf billige Mieten und subventionierte Nahverkehrspreise ließ die Konsumentenherzen nicht höher schlagen. Der sozial- und konsumpolitische Kurs Honeckers war, wie sich in der Wendezeit herausstellte, auf Pump finanziert, und führte zu einer hohen Auslands- und Inlandsverschuldung des Staates. Auf dem Schlachtfeld des Konsums ging so schließlich der Systemwettbewerb zwischen Kapitalismus und Sozialismus verloren.

Die Vielzahl der mitunter kuriosen Details zum Versandhandel, zu sozialistischen Werbestrategien, zur Mode, zu den Delikatgeschäften und Intershops, zur Stimmung in der Bevölkerung, zur versorgungsstabilisierenden Rolle westdeutscher Geschenksendungen oder zur Kaffeekrise Mitte der 70er Jahre machen die Lektüre von Kaminskys Buch zu einem kurzweiligen und lehrreichen Vergnügen. Dass sich einige gestalterische und inhaltliche Fehler in die Edition eingeschlichen haben, ist verschmerzbar. Sie sollten aber bei einer Neuauflage des Buches getilgt werden. Wenn die pro Person verfügbare Wohnfläche zwischen 1971 und 1976, also in nur fünf Jahren, tatsächlich von 20,6 qm auf 37,6 qm angewachsen wäre, hätten die Bürger wohl keinen Grund zur Klage über die Wohnverhältnisse in der DDR gehabt.

Titelbild

Annette Kaminsky: Wohlstand, Schönheit, Glück. Kleine Konsumgeschichte der DDR.
Verlag C.H.Beck, München 2001.
176 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3406459501

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