Werbung kann tödlich sein

Stefan Beuse schreibt einen Psycho-Thriller und trägt dabei etwas dick auf

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jakob Winter ist Werbefachmann, Familienvater, Asthmatiker und ein Grobian. Es ist schwer zu verstehen, weshalb seine Kollegen von Oswald & Bell, speziell die gutaussehende und liebenswürdige Tatjana, so nett zu ihm sind. Immerhin gilt Winter als kleines Genie, was das Konzipieren von Kampagnen angeht. Deshalb soll er auch, zusammen mit Tatjana, den Auftrag einer Firma für Klimatechnik an Land ziehen. Winter verzichtet auf eine Woche Urlaub, während seine Familie schon ans Meer fährt. Ein Herr Korff ist bei C & S Klimatechnik der Ansprechpartner - und er kommt Winter von Anfang an nicht ganz geheuer vor. Dafür geht von Korffs Assistentin Lilly eine merkwürdige Anziehungskraft aus.

Lilly scheint Winter zu verfolgen und er ihr zu verfallen. Dass Winter verheiratet ist, stellt nicht das einzige Problem dar. Winter beobachtet ein merkwürdiges Treffen merkwürdiger Gestalten im Wald und erinnert sich an ein in ähnlicher Weise merkwürdiges Seminar. Winter werden merkwürdige Filme zugespielt. Als er mit Lilly in einem Hotel übernachtet, wird im Nebenzimmer jemand ermordet, der Winter merkwürdig bekannt vorkommt.

Alles an diesem Roman ist dazu angetan, den Leser in die Irre zu führen. Das ist seine Stärke. Allerdings entfaltet das Beusesche Verwirrspiel erst nach etwa der Hälfte seine - dann durchaus atemberaubende - Faszination. Es gilt zunächst eine Durststrecke zu überwinden, in der es nur Steinchen aus verschiedenen Puzzles zu geben scheint und man dem Protagonisten nicht glaubt, der überall geheimnisvolle Verbindungen vermutet. Dafür entschädigt der Schluss, und die meisten Leser, die jetzt alle Steinchen beisammen haben und passend zusammensetzen können (der Roman nimmt ihnen das nicht ab), werden sich eingestehen: Darauf wären sie nicht gekommen. Erst rückblickend lassen sich Anzeichen entdecken, etwa der Riss in der Wand in Winters Haus.

Ein Leitmotiv sind Tauben, genauer Winters Begegnungen mit Tauben, die an Kadavern picken. Vor der Agentur muss Winter jedesmal wegen ihnen bremsen. Ob das als Anspielung auf Patrick Süskinds Novelle "Die Taube" gedacht ist? Anders als Süskind trägt Beuse dick auf - das kannibalistische Verhalten der Vögel wirkt ebenso übertrieben wie Winters Ekel oder das Ekel Winter. Die Geheimgesellschaft schließlich streift schon die Karikatur, einschließlich der damit beabsichtigten Psychologisierung. Dass das Tier im Menschen lauert, haben uns Literatur und Film schon so oft vorgeführt, dass es keinen Neuigkeitswert mehr besitzt, schon gar nicht in der plakativen Art dieses Romans.

Die Arbeit einer Werbeagentur entspricht dem üblichen Klischee. Hier sei als vorbereitende Lektüre ein älterer Roman empfohlen: Hans Werner Kettenbachs "Schmatz oder Die Sackgasse" von 1987. Beide Romane sind, abgesehen davon, dass sie vor allem spannend unterhalten wollen, kaum vergleichbar, doch soweit es den Agentur-Aspekt betrifft, würde Kettenbachs weniger konventionelle und spritzigere Darstellung wohl besser abschneiden. Wer an der Psychologisierung von Figuren interessiert ist, die in der Werbe- und PR-Branche arbeiten, der sollte zu einer Neuerscheinung vom letzten Herbst greifen. Rainer Merkels "Das Jahr der Wunder" mit seiner subtilen Zeichnung der Mitarbeiter einer Multimedia-Agentur ist in vielem das genaue Gegenteil von Beuses Roman. Es gibt praktisch keine Handlung, niemand wird ermordet oder vergewaltigt, stattdessen setzt Merkel auf eine Poetisierung des Alltags, die subtiler und hintergründiger kaum sein könnte.

Summa summarum ist "Die Nacht der Könige" eine prima Abendlektüre, ein Thriller mit Klasse, gewürzt mit einer Portion Psychologie, die allerdings stets mild bleibt und nicht verdauungshemmend wirkt. Mit anderen Worten: kein bleibendes Werk. Für jemanden, der von bleibenden Werken genug hat und Entspannung mit Spannung sucht, ist Beuses Winter-Märchen aber genau das Richtige.

Titelbild

Stefan Beuse: Die Nacht der Könige. Roman.
Piper Verlag, München 2002.
212 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3492044131

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