Ästhetisches Resümee in 152 Positionen

Über Julian Nida-Rümelins und Monika Betzlers Standardwerk zur Kunstphilosophie

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Philosophie scheint der Höhepunkt der Ästhetik-Welle bereits überschritten; dagegen zeichnet sich ein neues Interesse an ethischen Fragestellungen ab. Insofern darf die von Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler herausgegebene Sammlung von 152 Positionen der europäischen und angloamerikanischen Ästhetik und Kunstphilosophie als eine Art Resümee betrachtet werden. Seit ihrem Erscheinen hat sich diese Sammlung als ein neues Standardwerk etabliert. Eine kenntnisreiche einführende Vogelschau Monika Betzlers liefert gleichsam eine Landkarte der in ihr verzeichneten Positionen. Die alphabetisch nach Namen geordneten Einzeldarstellungen haben einen Umfang zwischen drei und 14 Seiten, und ihr Aufbau erleichtert Vergleiche und Anschlussmöglichkeiten: Jeder Artikel besteht aus Abschnitten zur Biographie, "Kunsttheorie", zum "Kontext", zur "Rezeption" und gibt ausführliche bibliographische Hinweise. Die biographischen Abschnitte verzeichnen dabei auch praktische Bezüge und Begegnungen der behandelten Theoretiker zur Kunst, also etwa im Fall Wittgensteins eine von ihm gefertigte Porträtbüste sowie das von ihm entworfene, heute unbegreiflicherweise dem Verfall preisgegebene Haus in der Wiener Kundmanngasse Nr. 19. Die umfangreiche Auswahl scheint auf den ersten Blick erstaunlich vollständig, die Antike ist mit 10 Namen vertreten, Mittelalter und Renaissance mit 23, die Neuzeit bis einschließlich Kant mit 26, die Zeit bis 1900 mit 28 und das 20. Jahrhundert mit 64, wobei vor allem der französische Poststrukturalismus ausführlich berücksichtigt wird. Doch gibt es auch unverständliche Lücken: So fehlt etwa unter den Kant-Nachfolgern Johann Gottlieb Fichte, und auch Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, wäre mit seiner Wirkung auf so unterschiedliche Künstler wie etwa Christian Morgenstern, Michael Ende oder Joseph Beuys einen Artikel wert gewesen. In der deutschsprachigen Gegenwartsphilosophie sucht man Namen wie Wolfgang Welsch, Karl Heinz Bohrer und vor allem Martin Seel vergebens, findet aber immerhin Gernot Böhme und Peter Sloterdijk. Unterrepräsentiert scheint eine wirkmächtige Richtung der psychologischen Ästhetik, nämlich die informationstheoretisch-kognitivistische: Zwar werden Max Bense und Umberto Eco berücksichtigt, nicht aber D. E. Berlyne oder George D. Birkhoff. Problematisch ist die Auswahl auch bezüglich der gelegentlichen Berücksichtigung von Künstlern, die neben ihrem Werk auch wichtige Beiträge zur Ästhetik geliefert haben. Sie gänzlich auszuschließen, wäre natürlich legitim und verständlich; da aber Baudelaire und Goethe mit einem Artikel vertreten sind, stellt sich die Frage, warum dann nicht auch z.B. Edgar Allen Poe? Oder Robert Musil? Gespart hat man sich auch die Mühen zur Erstellung eines Begriffsregisters, obwohl doch wohl gerade die Materialerschließung nach Stichwörtern wie z. B. "Mimesis" oder "Ironie" fruchtbar gewesen wäre.

Kein Bild

Ästhetik und Kunstphilosophie: Von der Antike bis zur Gegenwart in Einzeldarstellungen.
Herausgegeben von Julian Nida-Rümelin und Monika Betzler.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1998.
838 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 352037501X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch