Mit Humboldt Entfernungen überbrücken

Günter Herburger wird 70

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seine "Neugier erschöpfte sich nie. Besonders unwirtliche Fremde zog ihn an. Er wollte sie nicht nur kennen lernen, sondern auch verstehen." So steht es als Legende unter einem Farbfoto geschrieben, das einen Blick in einen öden städtischen Hinterhof gewährt, dessen Boden von großen Grünpflanzen urwaldähnlich überwuchert wird. Bild und Text sind epigrammatisch zu lesen, sie bilden gleichsam die Richtlinien für ein künstlerisches Unternehmen, das in der Weite die Nähe sucht und umgekehrt. Konkrete Schreibanlässe sind zum Beispiel Rennläufe über Extremdistanzen, an denen Günter Herburger teilnimmt und über die er Tagebuch führt. Und selbst wenn er dabei eingestehen muss, "ich war Zweitletzter geworden", spürt man den Stolz des inzwischen Siebzigjährigen, an solch einem Wahnsinnsunternehmen überhaupt teilgenommen zu haben und etwa 320 Kilometer über eine Wüstenpiste durch Mauretanien gerannt zu sein.

Wer sich auf Günter Herburger einlässt, sollte sich auf eine ziemlich anspruchsvolle, lange, aber keineswegs langweilige Unternehmung gefasst machen. Denn der Schriftsteller sieht sich als Nachfahren des Weltreisenden Alexander von Humboldt, den er auch zum Titelhelden seiner Sammlung von "Reise-Novellen" gemacht hat. Allerdings geht es dem Läufer, der in vier Tagen den Mont Blanc umrundet, nicht um Siege, sondern um Erfahrungen. Wie seinem Vorbild Humboldt gelingt es Herburger, Entfernungen zu überbrücken und oben beschrieben, Gegensätze in einem einzigen Bild zu vereinen.

Der naturgemäß kurze Atem des Läufers verhindert keineswegs den Blick auf die Details am Wegesrand. Prägnant aufgespießt mit bayrisch-barocker Fabulierlust, verraten Herburgers Beobachtungen im Vorüberlaufen mehr über Land und Leute als manch weitschweifiger Reiseberichte. Das Blut im Schuh gemahnt überdies aufdringlich an die Widersprüche unserer Zivilisation, die zunehmend virtuelle Events favorisiert. Trotzdem schießen auch dem Geplagten die Gedanken in rascher Abfolge durch den Kopf, vor allem Erinnerungen an frühere Läufe, an Verwandte, an Historie. Das Ergebnis dieses Gehirn-Joggings fasst er folgendermaßen zusammen: "Die Durchleuchtung des Körpers und der Seele war zu Ende." Damit gibt sich Herburger als Enkel der Existentialisten zu erkennen, die er in jungen Jahren in Paris kennen gelernt hat. Man darf sich ihn als glücklichen Sisyphos vorstellen, dem "wenigstens für Momente" die Gesamtansicht eines möglichst "umfassenden Dilettantismusses" gelang, "als könnten, gut trainiert, Geist und Körper sich versöhnen."

Wer will, kann in zwei der kühn als Novellen bezeichneten Texte auch die Fortsetzung der seit 1988 als "Lauf und Wahn" und "Traum und Bahn" veröffentlichten Tagebücher lesen; die beiden übrigen Texte greifen die von Herburger anderenorts kreierten Photo-Novellen wieder auf. "Das Münster" von Ulm ist auch Schauplatz in Herburgers letztem Roman "Elsa". So fügen sich die vorliegenden Texte, indem sie Aufbrüche und Ziele, Umwege und Abschweifungen, Erkenntnisse und Verirrungen thematisieren, in Herburgers großen Lebenslauf. Chapeau!

Titelbild

Günter Herburger: Elsa.
Luchterhand Literaturverlag, München 1999.
356 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3630870287

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Günter Herburger: Humboldt. Reise-Novellen.
Athe, München 2001.
112 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3927743569

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch