Zwischen Hölle und Fegefeuer

Peter Godmans Dokumentation kirchlich verbotener Bücher

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Historiker mit dem gottgefälligen Namen war einer der ersten, der im 1998 geöffneten Geheimarchiv des Vatikans forschen durfte. Was er dort fand, hat er in diesem Band zusammengefasst.

Schon das fünfte Laterankonzil im Jahr 1515 hatte sich "in höchster Sorge" über das damals neue Medium Buchdruck geäußert. Schließlich ließen sich mit Gutenbergs Erfindung nicht nur Psalter drucken, sondern auch häretische Schriften und reformatorische Flugblätter. 1542 gründete man die Römische Inquisition, um die protestantischen Ketzereien zu bekämpfen, die Italien angeblich wie ein "Krebsgeschwür" zu infizieren drohten. Über vier Jahrhunderte war die Zensurbehörde, die Indexkongregation, ein Instrument kirchlicher Wissens- und Kommunikationskontrolle, und verdammte zwischen 1559 und 1966 zahllose Bücher als "häretisch", "unmoralisch", "irrig" oder "anstößig für fromme Ohren". Dabei teilten die Zensoren die Welt der Literatur und der Wissenschaft in zwei Klassen ein. Alle Autoren und Bücher, die verboten waren, schmachteten nach ihrer Vorstellung "in der Hölle". Im "Fegefeuer" befanden sich jene, die zunächst verboten waren, nach erfolgter "Korrektur" jedoch wieder gelesen werden durften.

Hardliner wie Papst Paul IV. (1555-1559) waren fest entschlossen, jede Spur von Abweichung auszurotten. Andere, liberalere oder realistischere Würdenträger, glaubten dagegen, dass es sich der Katholizismus nicht leisten könne, Werke zu verbieten, die für Forschung und Lehre unerlässlich waren. Das Ergebnis waren "wackelige Kompromisse" oder lähmende Konflikte und Meinungsverschiedenheiten, die häufig in eine Sackgasse führten. Denn im Gegensatz zur Gestapo, die aufgrund ihrer klaren Zielsetzung und straffen Organisation schnell handeln und brutal ihren Willen durchsetzen konnte, waren die Römische Inquisition und die Indexkongregation, trotz der Schärfe und Vehemenz ihrer Rhetorik, kaum je einer Meinung.

Von alledem erfuhr die Öffentlichkeit kaum etwas. Erst nach der Öffnung der Archive im Januar 1998 ist es möglich, hinter die Kulissen zu schauen und die Gründe kennen zu lernen, warum man Bücher verbot oder Autoren verurteilte. Allerdings sind die meisten Dokumente aus dem 20. Jahrhundert noch nicht zugänglich. So konnte der 1955 in Neuseeland geborene Wissenschaftler Peter Godman - er studierte in Oxford und Cambridge und ist gegenwärtig Professor für lateinisches Mittelalter und Renaissance an der Universität Tübingen - die Zensur von Graham Greenes "Die Kraft und die Herrlichkeit" studieren. Eine Druckerlaubnis für die Dokumente bekam er jedoch nicht.

Godman erläutert die historischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge von kirchlicher Dogmatik und Häresie, von Inquisition und Index verbotener Schriften und dokumentiert, anhand bislang unveröffentlichter Quellen aus den Archiven, das Vorgehen der römischen Behörden. Der erste Teil zeigt unter der Überschrift "Das Fegefeuer des Zensors" anschaulich den rigiden Umgang des Vatikans mit der Welt der Literatur, der Gelehrsamkeit und der Wissenschaft. Der umfangreichere zweite Teil mit dem Titel "Die Hölle der Zensur" enthält in deutscher Übersetzung dreiundzwanzig auf Latein oder Italienisch verfasste Zensuren unterschiedlicher Länge aus dem Zeitraum vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Ein Handschriftenverzeichnis, eine Bibliographie ausgewählter Werke und ein umfangreiches Register bieten weitere Orientierung. Zudem vermitteln Illustrationen aus den Originaldokumenten ein ziemlich genaues Bild von der Arbeit der Zensoren.

Da das Augenmerk des Autors sich nicht nur auf zensierte Werke und deren Autoren richtet, sondern auch auf die Identität der Zensoren, treten aus der Anonymität der Archive nun auch jene ans Tageslicht, die für die Römische Inquisition und die Kongregation für den Index der verbotenen Bücher arbeiteten, allen voran der für solche Systeme offensichtlich unentbehrliche Denunziant, der vor Vertrauensbruch nicht zurückschreckte wie etwa Teofilo Martino. Dieser hatte am 24. September 1576 dem Heiligen Offizium gemeldet, dass er "einen Verdacht gegen den Erzbischof von Zypern" und "Zweifel an seiner Rechtgläubigkeit" hege, weil dessen Auffassung von der Prädestination mit den Ansichten des heiligen Thomas von Aquin und denen des heiligen Augustin nicht übereinstimme.

Erschreckend für heutige Leser ist vor allem der inquisitorische Eifer und die Militanz kirchlicher Zensoren, die sich mitunter zu Aussprüchen hinreißen ließen wie: "Man täte gut daran, die Bücher dem Feuer zu überantworten!"

"Die Ketzerei war vielgestaltig, heimtückisch und allgegenwärtig wie ein Gespenst in der Nacht", schreibt Godman. Jeder habe in Verdacht geraten können, auch Erzbischöfe, Kardinäle und Prälaten. Selbst angehende Päpste wurden mitunter zensiert, wie etwa Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), der als Pius II. den Heiligen Stuhl bestieg, aber zuvor als Lebemann und Kritiker der päpstlichen Autorität von sich reden gemacht hatte. In seine Memoiren hatte die Zensur so stark eingegriffen, dass alles, was bei einem heutigen Leser Sympathie für den Autor geweckt hätte - "sein Esprit, sein Humor und seine scharfe Beobachtungsgabe für menschliche Schwächen" - dem Rotstift zum Opfer fiel.

Unqualifiziert verhielten sich die Zensoren auch im Umgang mit den heiligen Büchern der Juden, die die zentralen Instanzen der katholischen Kirche jahrhundertelang in Atem hielten. Aber allen Positionen, ob unnachgiebig oder tolerant, lag die Überzeugung zugrunde, dass der Talmud gottlos und sündig sei.

Bei Zeugnissen fremder europäischer Kulturen kamen drei Methoden zum Einsatz: Entweder verurteilten die Glaubenshüter die Bücher, die sie nicht gelesen hatten, oder sie unternahmen nichts oder sie warteten, bis ein in der Landessprache verfasstes Werk in lateinischer Übersetzung erschien. Das war zum Beispiel bei Sebastian Brants 1494 veröffentlichtem Buch "Das Narrenschiff" der Fall.

Viele Autoren und Wissenschaftler hat Godman auf dem kirchlichen Index ausfindig gemacht: Erasmus von Rotterdam, die "protestantischen Erzketzer" Luther und Calvin, Michel de Montaigne und Charles des Montesquieu. Ausführlich stellt der Historiker den wohl berühmtesten Fall vor, den die Römische Inquisition verhandelt hatte, den von Galileo Galilei. Kurzsichtige Augen richteten sich auch auf Giambattista Vicos "Scienza nuova" (Die neue Wissenschaft") und auf David Humes "Geschichte von Großbritannien". Bücher von Victor Hugo, Gustave Flaubert, Stendhal, Jules Michelet und Honoré Balzac wurden als "berüchtigte Machwerke" bezeichnet und en bloc verdammt. Blaise Pascal, der sich als Verteidiger des Christentums verstand, hatte ebenfalls den Argwohn der Inquisition geweckt, ebenso Voltaire, ferner Rousseau, Diderot, Darwin und Kant - der eine galt als materialistischer, der andere als idealistischer Ketzer -, außerdem Dumas' bekanntesten Romane wie "Die drei Musketiere" und "Der Graf von Monte Christo" sowie der ostpreußische Gelehrte Ferdinand Gregorovius, der sich durch seine Reiseberichte über Italien und Korsika einen Namen gemacht hat.

Mitunter wirkten sich Verdacht und Vorgehen der Zensoren sogar verkaufsfördernd aus. Doch keiner von ihnen, merkt der Verfasser an, bemühte sich, seinem Gegenstand Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, im Gegenteil, gerade bei Voltaire zeigte man sich unempfänglich für Spott und Ironie und den gedanklichen Hintergrund dieses scharfen Denkers.

Der Band bietet, wie man sich denken kann, viele fesselnde, wenn auch manchmal etwas ermüdend geratene Passagen. Die Gutachten kirchlicher Zensur muten in ihrer Willkür und Ineffizienz oft recht makaber an, gleichwohl bieten sie eine unterhaltsame Lektüre.

Titelbild

Peter Godman: Weltliteratur auf dem Index. Die geheimen Gutachten des Vatikans.
Propyläen Verlag, München 2001.
544 Seiten, 30,00 EUR.
ISBN-10: 3549071442

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