Eine Grobheit besiegt jedes Argument

Schopenhauers kategorische Impertinenz

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Arthur Schopenhauer wusste bekanntlich seine philosophischen Zunftgenossen zu verhöhnen wie kein zweiter. Der gallige Spott, mit der er im Pamphlet "Über die Universitätsphilosophie" die Hegelsche "Afterweisheit", das "geistlose (...( Gewäsche jenes elenden Scharlatans" bedenkt, ist maßlos und in der Philosophiegeschichte ohne Beispiel. Der Grundgedanke dieses "Unsinnschmierers", sagt Schopenhauer, sei der "absurdeste Einfall (...(, eine auf den Kopf gestellte Welt, eine philosophische Hanswurstiade (...( und ihr Inhalt der hohlste, der sinnleerste Wortkram, an welchem jemals Strohköpfe ihr Genüge gehabt", ein "Wischiwaschi, das ans Tollhaus erinnert". Schopenhauer wäre aber vermutlich nicht Schopenhauer, wenn er, wie Alfred Schmidt in der Studie "Idee und Weltwille" (1988) nachweist, die Schwächen der idealistisch 'verkehrten' Welt Hegels nicht sehr genau erkannt und analysiert hätte.

Auch die übrigen Beschimpfungen, Schmähreden und Verleumdungen, die das Werk des Philosophen metastasenhaft durchziehen, sollte man nicht einfach als Charakterschwäche eines im Jähzorn entbrannten Polterers und Wüterichs (der Schopenhauer zweifelsohne auch war) abtun. Auch sie haben ihren 'logischen' Ort in seiner Philosophie, und zwar in einem aus achtunddreißig Kunstgriffen (samt dazugehöriger Beispiele) zum Selbstgebrauch zusammengestellten Repetitorium. Diese zu Lebzeiten unveröffentlichte Schrift, Arthur Hübscher datiert ihr Entstehen auf 1830-31, kursiert außerhalb des "Handschriftlichen Nachlasses" in zwei Bändchen mit den Titeln "Eristische Dialektik" (1983) und - von Franco Volpi besorgt - "Die Kunst, Recht zu behalten" (1995).

Als "geistige Fechtkunst" dient die Dialektik der Verteidigung wahrer wie unwahrer Behauptungen. Schopenhauer siedelt sie deshalb zwischen Logik und Sophistik an und grenzt sie damit von Arstitoteles ab, der zwischen der Wahrheit von Sätzen und ihrem Geltendmachen nicht klar genug unterschieden habe. Droht man im Disput trotz aller Finten zu scheitern, so ist nach Schopenhauer ein Akt der rhetorischen Notwehr gestattet. Man greife zum letzten, dem achtunddreißigsten Kunstgriff: "Wenn man merkt, daß der Gegner überlegen ist und man Unrecht behalten wird; so werde man persönlich, beleidigend, grob." Hier setzt Volpis neue Schopenhauer-Anthologie "Die Kunst zu beleidigen" an, indem sie anhand einer Auswahl aus dem Gesamtwerk zeigt, wie nachdrücklich der Danziger Philosoph ausgerechnet der Nr. 38 gehuldigt hat.

Oder, diese Frage sei dann doch gestattet, versucht Schopenhauer hier nur einen ohnehin unabänderlichen Persönlichkeitszug zu rationalisieren? Darauf erhält der Leser der "Kunst zu beleidigen" leider ebensowenig eine Antwort wie zu dem Verhältnis zwischen den Schimpfkanonaden und Schopenhauers tiefem Pessimismus. Für einen Einklang von philosophischer und lebenspraktischer Weltverachtung dürfte sprechen, dass sich Schopenhauer bei der Auswahl seiner Opfer einer gewissen Wahllosigkeit befleißigt, oder, um im Bild zu bleiben, Amok läuft. Jeder und alles konnte zur Zielscheibe seiner Häme werden, mit der er vor allem im fortgeschrittenen Alter nicht geizte: Kollegen, Schriftsteller, Frauen, Liebe, Ehe, Moden, das Menschengeschlecht, die Geschichte. Natürlich auch ein Literaturkritiker, der "seine Kindertrompete für die Posaune der Fama hält".

Dankenswerterweise hebt Volpi aber die Zwiespältigkeit hervor, mit der Schopenhauer seinen Entgleisungen gegenüber stand. Während er die Beleidigung einerseits als "summarische Verleumdung, ohne Angabe der Gründe" gering schätzt, in ihr einen Appell an tierische Instinkte sieht und auf die schwerwiegenden Folgen einer Eskaltion (Prügelei, Duell, Gerichtsprozess) hinweist, führt er an anderer Stelle mit unverhohlenem Vergnügen aus, mit welchen schlagenden Argumente man sich den Gegner vom Hals halten kann. Dies deutet zumindest auf eine gewisse Spannung hin: zwischen dem die Ausfälle als unvernünftig kritisierenden Philosophen Schopenhauer und seinem reizbaren Naturell.

Titelbild

Arthur Schopenhauer: Die Kunst zu beleidigen.
Herausgegeben von Franco Volpi.
Verlag C.H.Beck, München 2002.
130 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3406476058

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch