Das Genre verfehlt

Roland Oelsners "Zerrissene Träume": Alptraum meets reality

Von Caroline WernerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Werner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aller "guten" Dinge sind drei: Der dritte Lyrikband von Roland Oelsner, "Zerrissene Träume" sollte voraussichtlich auch sein letzter sein. Hierin behandelt der gebürtige Ostdeutsche ein gewichtiges Thema: Die Wende und somit die Einheit Deutschlands. Wie er dieses Motiv aber umsetzt, lässt sich in einem Wort sagen: rudimentär. Ein kleiner Appetizer aus dem Gedicht "Kanzlersturz":

Es war einmal,
in einem europäischen Land,
wo der Zorn des Volkes,
gegen ihren Kanzler entbrannt.
Dieser wie,
ein König thront,
ihm zu widersprechen,
ist er nicht gewohnt."

Man könnte meinen, dass Oelsner Begriffe wie Metrik, Reim oder Rhythmus zufällig irgendwo aufgeschnappt hat und daraufhin im kindlichen Unfrohsinn versuchte, diese umzusetzen - schlichtes Name Dropping. Doch selbst wenn ihm dies gelänge - seine Worte zum Ausdruck eventueller Emotionen lassen zu wünschen übrig. Wenn der Nominalstil auch außerhalb der Juristerei ein Biotop gefunden hat, dann in "Zerrissene Träume". Das ist nicht unbedingt von Nutzen, und im Zusammenspiel mit den formalen Aspekten und dem bedürftigen Wortschatz - sehr unvorteilhaft. Sind es überhaupt Emotionen, die der Autor äußert oder ist es pure Erstarrtheit? Oder ist Erstarrtheit die einzige Emotion Oelsners? Es passt nichts in diesem Buch. Bei jeder neuen Seite, die man aufzuschlagen wagt, erschaudert man erneut.

Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen privaten Lyrikversuchen, die man als Laie scherzhaft in einer Runde kreiert und die stilistisch nicht einwandfrei sind und Menschen die meinen, ihre Unprofessionalität verkaufen zu müssen. Ein -auch heute noch - so ernstes Thema wie die Wende in Deutschland, sollte niemand derart lapidar und undurchdacht behandeln. Oelsner sieht den westdeutschen Bürger als Rivalen, als Antagonisten an, der dem ostdeutschen Bürger ausschließlich Negatives entgegenbringt und bringen möchte. Der Autor empfindet sich als erniedrigt, unterdrückt und nicht ernst genommen. Seine Lyrik ist ein genereller Vorwurf an den Westbürger. Dieser sei im Allgemeinen intolerant, kalt und blind. Oelsner schießt um sich ohne zu begründen und ohne einen konkreten Fall näher auszuführen. Dorfliteratur, Stammtisch-Parolen, Bildzeitungs-Niveau, ohne Gehalt, nicht über den Tellerrand hinausschauend.

Akute Punkte der Wende-Folgen und auch der Alltag zwischen Ost und West werden angerissen. Es geht um Arbeitslosigkeit, Zurückweisung, fehlende menschliche Wärme, Unterlegenheit, mangelnde Anerkennung. Oelsner vertritt Ansichten, die ob ihrer Unklarheit irrelevant sind. In Wirklichkeit sah es doch in der DDR, die - den Gedichten zufolge - segensreicher war, so aus: Es existierten Scheinfreundschaften die auf Schiebergeschäften untereinander beruhten, da man im wahrsten Sinne des Wortes nichts kaufen konnte. Jeder war auf den anderen angewiesen - darauf basierte die Menschlichkeit und nicht auf wirklicher Freundschaft. Zu dieser war man gar nicht in der Lage, da eigentlich jeder Gesprächspartner in der Staatssicherheit hätte sein können. Man musste sich stets im Klaren darüber sein, was man sagt und wieviel, um nicht Kopf und Kragen, Haus und Hof zu verlieren. Oelsner echauffiert sich verbittert über das Manko der Westbürgerlichkeit und bleibt dabei fortwährend einseitig. Er besitzt nicht die Courage, etwas an seiner Wahrnehmung zu verändern, was wiederum nur durch Toleranz möglich wäre.

Der Autor begeht einen gravierenden Fehler, indem er die westdeutschen und die ostdeutschen Bürger jeweils über einen Kamm schert. Das Individuum, die einzelne Persönlichkeit, bleibt in seinen Ausführungen außen vor.

Dass sich die Einheit nicht binnen weniger Jahre vollziehen kann ist nicht von der Hand zu weisen, denn beide Völker sind nun einmal konträr. Die Unterschiede sind groß, aber nicht kolossal. Die Einheit ist noch immer ein Lernprozess in Toleranz und Akzeptanz, der jeden betrifft. Vorwürfe führen in dieser Situation höchstens zu Stagnation.

Mit Oelsners Werk kann keine Brücke zwischen West und Ost und umgekehrt gebaut werden. Warum Kapitulation - wenn es doch gar keinen Kampf gibt? Warum Selbstaufgabe und -verleugnung bei Konfrontationen? Warum derart devote und doch vorwurfsvolle Worte, die schlicht an eine anonyme Masse gerichtet sind?

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Roland Oelsner: Zerrissene Träume. Gedichte.
Mauer Verlag, Rottenburg 2001.
106 Seiten, 11,60 EUR.
ISBN-10: 393512113X

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