Verächtlicher Siegertyp

Elfriede Jelinek und Michael Haneke über die Verfilmung der "Klavierspielerin"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen den beiden österreichischen Literatinnen Elfriede Jelinek und Ingeborg Bachmann bestehen nicht nur zahlreiche intertextuelle Bezüge, wie sie etwa im Titel von Jelineks letztem Roman "Gier" und dessen abgesetztem Schlusssatz "Es war ein Unfall" zum Ausdruck kommen. Es bestehen darüber hinaus auch cineastische Verknüpfungen. So schrieb Jelinek bekanntlich das Drehbuch zu Werner Schroeters Verfilmung von Bachmanns Roman "Malina", in der Isabelle Huppert die Hauptrolle spielte. Die bekannte französische Schauspielerin ist nun auch in der Titelrolle des Filmes "Die Klavierspielerin" zu sehen, der auf dem gleichnamigen Roman Jelineks beruht und bei dem Michael Haneke Regie führte. Der in den letzten Jahren mit Filmen wie "Funny Games" hervorgetretene Regisseur wiederum hat das Drehbuch für den Fernsehfilm "Drei Wege zum See" nach der gleichnamigen Erzählung Bachmanns geschrieben.

Die vielfachen Bezüge des Geflechts zwischen der Literatin Jelinek, der Schauspielerin Huppert und dem Regisseur Haneke mit ihren Bezügen zu Bachmann mögen auch Ausdruck einer "geistigen Verwandtschaft" zwischen Jelinek und Bachmann sein, von der Huppert in einem Gespräch mit Stefan Grissemann sprach. Beiden, so die Schauspielerin, sei eine "schmerzhafte Introspektion" eigen. Grissemann, Filmkritiker der österreichischen Tageszeitung "Die Presse", hat das Gespräch in ein Essay eingearbeitet, das in das kürzlich von ihm herausgegebene Buch zum Film "Die Klavierspielerin" aufgenommen wurde. Neben einem weiteren Essay des Herausgebers enthält der Band zwei Texte von Sabine Perthold und Georg Seeßlen, das Drehbuch des Filmes und vor allem zwei aufschlussreiche Interviews mit Jelinek und Haneke sowie einen kurzen Text der Autorin.

Der Film, meint Seeßlen, sei "mehr ein Haneke-Film als eine Jelinek-Verfilmung". Auch Grissmann unterstreicht, der Film habe "fast nichts" mit Jelineks "sehr eigenen Schriften" zu tun, und das aus gutem Grund, denn so behielten Film und Buch "die Freiheit, bei sich selbst zu bleiben". Das lag offenbar auch in Hanekes Absicht und entspricht seiner grundsätzliche Haltung einem zu verfilmenden literarischen Stoff gegenüber. Wie er in dem Interviews ausführt, will er nicht unbedingt die Absichten, die ein Autor mit einem Werk verfolgt, aufgreifen, sondern die "Möglichkeiten, die in einem Buch angelegt sind" entwickeln. Literaturverfilmungen, die versuchen, beiden Medien gerecht zu werden, dem Buch und dem Film, könne man nur im Fernsehen machen, denn das sei überhaupt keine Kunstform, sondern habe einen bloßen Bildungsauftrag.

In dem Interview mit Jelinek spielt das oft prekäre Verhältnis zwischen einer literarischen Vorlage und ihrer Verfilmung ebenfalls eine zentrale Rolle. Einem Film sei es unmöglich, "die Dinge exemplarisch [zu] beschreibe[n]", so wie sie es in ihrer Arbeit tue. Er könne "der Schicksalhaftigkeit der Einzelperson nicht entkommen". Das "fast Unlösbare" an der speziellen Literaturverfilmung der "Klavierspielerin" sei nun, dass mit Erika Kohut eine Frau gezeigt werde, die selbst "eine Schauende ist, die also diese phallische Anmaßung des Schauens für sich in Anspruch nimmt", womit Jelinek offenbar nicht nur auf Laura Mulveys Theorem, der im narrativen Kino "filmisch umgesetzten Anwesenheit eines blickenden männlichen Subjekts" anspielt, sondern den männlich konnotierten Blick des - stets voyeuristischen - Betrachters überhaupt meint.

Eine fast schon grundlegend zu nennende Wandlung gegenüber der literarischen Vorlage erfährt im Film die Figur des Walter Klemmer, zunächst nur Schüler der Klavierlehrerin, sodann ihr - wenn man so sagen kann - Liebhaber und schließlich ihr Vergewaltiger. Wird er, wie Grissemann feststellt, im Roman als "sportlicher Kleingeist" mit größter Verachtung beschrieben, sieht ihn Haneke "als fast durchweg sympathisch[en]" Menschen. Jelinek räumt ein, dass sich hierin eine "zweite Wahrheit" ausdrücken könne, und weist darauf hin, dass Hanekes Film den von ihr "im literarischen Diskurs mit Verachtung bestraft[en]" Klemmer zudem als Sieger zeigt. Ein junger Mann, bemerkt sie lapidar, sei eben "das Stärkste, was man sein kann". Bewunderung wird dabei allerdings ganz sicher nicht in ihrer Stimme mitgeschwungen haben.

Titelbild

Stefan Grissemann (Hg.): Haneke/Jelinek: Die Klavierspielerin. Drehbuch - Gespräche - Analysen.
Sonderzahl Verlag, Berlin 2002.
224 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-10: 3854491913

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